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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
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Natürlich war mir das selber klar. Aber hier zu bleiben, kam mir plötzlich wie reiner Selbstmord vor.
    «Ich will nicht weg», sagte Ben. «Es war schwer genug, mich hier einzuleben. Inzwischen gefällt’s mir ganz gut. Ich habe neue Freunde, ich finde mich allein zurecht. Und außerdem, Mom, sind wir mal ehrlich: Der folgt dir doch überallhin.»
    Diese Einschätzung war so realistisch wie erschreckend. Natürlich würde Joe uns folgen, wenn wir flohen. Das hatte er schon einmal getan. Was sprach dagegen, dass er es wieder tun würde?
    Ben nahm sich eine Banane aus dem Obstkorb, der immer auf dem Küchentisch stand, und ging hinaus, ohne mich eines weiteren Blicks zu würdigen. Ich verzieh ihm alles, seinen Egoismus ebenso wie die Leichtfertigkeit, mit der er meine Bitte abgeschmettert hatte. Er war mein Kind, der Arme, er hatte nichts von alldem verdient, was da über ihn hereinbrach. Ich blieb noch ein paar Minuten am Tisch sitzen und dachte nach. Dann ging ich durchs Haus, zog alle Vorhänge auf und ließ das verbliebene Nachmittagslicht herein. Der Tag hatte noch viele Stunden, die Woche noch viele Tage, das Jahr noch viele Wochen. Ben hatte recht: Wir konnten uns nicht für immer verstecken.
    Ich ging nach oben in mein Zimmer und versuchte, mit meinen übrigen Artikeln weiterzukommen, doch es fiel mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Die alten Themen interessierten mich einfach nicht mehr. Mir waren nur noch zwei Dinge wichtig   … oder nein, drei. Nein, eigentlich vier. Ich wollte Joe aus meinem Leben verbannen. Ich wollte Glück, Gesundheit und Sicherheit für Ben. Ich wollte, dassmeine Mutter ihren Seelenfrieden behielt. Und ich wollte wissen, von wem die Knochen stammten. Alles andere war zweitrangig.
    Ich öffnete eine neue Datei und schrieb meine Wünsche auf. Danach fühlte ich mich ein wenig besser und beschloss, für heute nicht mehr zu arbeiten. Die Arbeit, sonst immer eine gute Ablenkung von anderen Problemen des Lebens, kam mir plötzlich völlig unwichtig vor. Stattdessen suchte ich im Netz nach Informationen über Abe Starkman und sein Leben.
    Viel gab es nicht, und das meiste hing mit seiner Arbeit bei der Baubehörde zusammen: riesige PD F-Dateien , typische Bürokraten-Ergüsse, die ins Netz gestellt worden waren, falls sich wider Erwarten doch einmal jemand dafür interessierte. Dann entdeckte ich den Nachruf, den die
Times
kurz zuvor auf ihre Website gestellt hatte. Daraus erfuhr ich, dass Abraham Starkman, 54, leitender Projektmanager bei der Baubehörde gewesen war, wo er sein ganzes berufliches Leben verbracht hatte. Er war für seinen Fleiß und seine Sorgfalt bekannt und allseits respektiert, ging aber nur wenig unter Leute. Er war in Midwood aufgewachsen und seit langem mit einer Frau namens Ola verheiratet, mit der er drei erwachsene Kinder hatte; sie lebten alle noch in New York. In Kürze wäre er zum ersten Mal Großvater geworden. Außerdem erfuhr ich, dass in der kommenden Woche ein Gedenkgottesdienst für Abe gehalten werden würde. Ich beschloss hinzugehen.
    «Das kannst du nicht machen», sagte Rich mir kurze Zeit später am Telefon. Er hatte in den Nachrichten von Abes Tod gehört und seine eigenen Schlüsse gezogen. «Damit bringst du dich nur in Gefahr und vielleicht sogar seine Familie. Das musst du doch auch bedenken.» Im Hintergrund hörte ich Leute, eine Kinderstimme, das Wiehern eines Pferdes, wasmir wieder in Erinnerung rief, dass Rich seine Mittwochnachmittage als Reitlehrer im Prospect Park zubrachte.
    «Da hast du recht. Es wäre nicht richtig, vor allem, falls Joe   …»
    «Denk nicht an Joe, Darcy. Überlass das der Polizei. Deinem Detective zum Beispiel   … Ich dachte, Jesus führt dich auf den rechten Weg.»
    Wir mussten beide lachen. «Das will ich hoffen. Aber bis dahin   …»
    «Bis dahin, wenn du dir wirklich Sorgen machst   … ich weiß, das tust du, und völlig zu Recht   … kann ich Ben in den nächsten Tagen mit zur Schule nehmen und wieder nach Hause bringen.»
    «Er hat mir schon erzählt, dass du ihm das angeboten hast.»
    «Es bietet sich doch an, ich wohne schließlich ganz in der Nähe. Und ihr bedeutet mir beide sehr viel.»
    Wie hätte das mein angstverhärtetes Herz nicht erweichen sollen? «Ich danke dir. Das wäre wirklich eine große Erleichterung. Aber erzähl ihm bloß nichts von uns.»
    «Da mach dir mal keine Sorgen. Das ist eine Sache zwischen Lehrer und Schüler. Eine nachbarschaftliche Gefälligkeit. In

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