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Nur dein Leben

Nur dein Leben

Titel: Nur dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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fiel zu Boden und zerbrach. Porzellansplitter und kochend heißer Kaffee spritzten nach allen Seiten. Doch er bemerkte es kaum. Seine Augen waren auf den Fußboden geheftet, auf die beiden Zeitungsseiten, die neben dem Meerschweinchenkäfig ausgebreitet waren.
    Auf einem Blatt lag Karamell in einer Pfütze von getrocknetem Blut, die Pfoten ausgebreitet, den Bauch vom Hals bis zum Schwanz aufgeschnitten, seine inneren Organe fein säuberlich links und rechts neben ihm aufgereiht. Auf der anderen Zeitungsseite lag Nutella, ebenfalls aufgeschlitzt und ausgeweidet.
    Im ersten Augenblick war John so aufgewühlt und durcheinander, dass er überlegte, ob sich eine Katze ins Haus geschlichen und das getan haben könnte. Doch bei näherem Hinsehen wurde ihm klar, dass diese Theorie abwegig war. Neben jedem Tier lagen in einem kleinen verschlungenen Haufen die Därme; die Nieren, Lebern, Bauchspeicheldrüsen, Herzen und Lungen waren in zwei gleichen Reihen nebeneinander angeordnet. Die Oberseite ihrer Schädel war mit chirurgischer Präzision aufgeschnitten worden, und ihre winzig kleinen Gehirne lagen neben ihren Köpfen. Einige Organe waren fein säuberlich in der Mitte durchtrennt und der Darm in bestimmten Abschnitten geöffnet worden.
    Angeekelt und zutiefst schockiert drehte John sich weg.
    Wem in aller Welt kam so etwas in den Sinn?
    Das Unvermeidliche drängte sich ihm auf, aber er ließ es nicht zu. Er musste die Schweinchen erst ganz schnell wegräumen, sie verschwinden lassen, bevor Naomi sie sah – sie würde das nicht verkraften. Und auch seine Schwiegermutter und Harriet sollten sie nicht sehen. Niemand.
    Er öffnete einen Küchenschrank, riss einen schwarzen Müllsack von einer Rolle, öffnete ihn weit, nahm die Zeitungsseiten eine nach der anderen, hielt bei dem Gestank nach Darm- und Mageninhalt die Luft an, faltete das Papier zusammen und legte die Päckchen in die Tüte. Anschließend knotete er den Beutel oben zusammen, brachte ihn raus, steckte ihn in einen der Mülleimer und schloss den Deckel sorgfältig.
    Zurück im Haus zitterte er. Er kehrte die Scherben zusammen und wischte den verschütteten Kaffee auf, so gut er konnte, ging zum Wohnzimmer und öffnete die Tür. Der Fernseher war ausgeschaltet, und die Zwillinge waren verschwunden.
    Er ging hinauf, um nachzusehen, ob sie wieder in ihrem Zimmer waren, und als er oben war, sah er einen Lichtschein aus der Abstellkammer. Mit raschen Schritten ging er hin und stieß die Tür auf. Der neue Computer der Kinder war eingeschaltet, und eine Webseite füllte den Bildschirm. Er kniete sich hin und sah sie sich genauer an.
    Es war eine Seite aus
Gray’s Anatomy
, der Sektionsbibel aller Medizinstudenten. Das Bild zeigte die Sektion einer aufgeschnittenen Niere, begleitet von einer Checkliste bei einer Autopsie.

82
    JOHN GING EINE RUNDE LAUFEN, vollkommen außer sich. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen und zu verstehen, was soeben geschehen war. Hätte er sich die Kinder schnappen, sie hinunter zu den toten Meerschweinchen bringen und sie durchschütteln sollen, bis sie begriffen hätten, dass man so etwas nicht tat? Hätte das etwas genützt?
    Und wie zum Teufel haben die Kinder diese Website gefunden? Und wie kamen sie, verdammt nochmal, auf die Idee, das nachzuahmen?
    Es war ein klarer, kalter Morgen. Raureif glitzerte in den ersten Sonnenstrahlen und gefrorene Pfützen knirschten unter seinen Laufschuhen, als er einer unebenen Traktorspur hinauf in die Hügel folgte.
    Auf halbem Wege nach oben schöpfte er Atem und blickte zurück auf das weitläufige Tal, die Bauernhöfe, Straßen, Alleen, den Glockenturm eines Herrenhauses auf dem Grat eines fernen Hügels. Es war halb acht an einem Sonntagmorgen, und die meisten Leute waren noch nicht aufgestanden. Eine fast gespenstische Stille lag in der Luft. Irgendwo in der Ferne blökte ein Schaf, dann folgte, genauso weit weg, das tiefe Muhen einer Kuh. Hoch oben in der Luft sah er den Kondensstreifen eines Flugzeugs auf dem Weg über den Ärmelkanal.
    Er erkannte sein Haus, winzig klein, in einer direkten Linie zwischen ihm und der Dorfkirche. Alles sah von hier oben winzig klein aus. Wie eine Spielzeugwelt. Miniaturfelder, Miniaturschafe und -kühe, Miniaturhäuser, -scheunen, -autos, -straßen, -laternenpfähle, -verkehrsschilder, -kirchtürme. So klein, so unbedeutend.
    Auch Meerschweinchen waren klein und unbedeutend. Ihre inneren Organe waren winzig, manche wirkten wie kleine Klümpchen, man

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