Nur dein Leben
sein Vater ihm sein Fahrrad weggenommen hatte, wenn er als Kind ungehorsam gewesen war. Das hatte ihn wirklich hart getroffen. Das Fahrrad war sein wertvollster Besitz, ohne war er nicht mobil, hatte quasi Hausarrest. Vielleicht zeigte der Entzug des Computers Wirkung auf Luke und Phoebe. Sie mussten dringend Mittel und Wege finden, sie zu beeinflussen.
Er stellte den Computer in seinem Büro auf den Fußboden, steckte den Stecker ein und fuhr den Rechner hoch, neugierig auf den Internetverlauf und die Downloads seiner Kinder.
Der Befehl erschien: PASSWORT EINGEBEN
Ihr habt ihn passwortgeschützt, ihre kleinen Scheißer!,
dachte er mit widerwilliger Bewunderung.
Er wollte schon zu ihnen gehen und das Passwort von ihnen verlangen, entschied sich dann aber anders. Er kniete sich wieder hin, konzentrierte sich und gab ein:
Ebohpkul
Mit dem Ergebnis:
PASSWORT UNGÜLTIG – NEUE EINGABE
Nach kurzem Nachdenken kehrte John die Reihenfolge ihrer Namen um:
Eklebohb
Er war drin. Ha! Er grinste triumphierend. Sie benutzten ihre Geheimsprache, reihten ihre Namen aneinander, schrieben sie rückwärts und ließen jeden vierten Buchstaben aus.
Dann verging John das Grinsen.
Toll. Ich freue mich diebisch, weil es meine Dreijährigen nicht geschafft haben, mich auszutricksen.
Er prüfte die Interneteinstellungen, die es eigentlich nicht hätte geben dürfen. Irrtum – er hätte es sich eigentlich denken können. Es gab ein E-Mail-Account bei MobileMe auf Lukes Namen und einen bei Hotmail für Phoebe. Sie hatten kostenlose E-Mail-Accounts für sich eingerichtet!
Vor noch ganz, ganz kurzer Zeit hätte er ungläubig reagiert, aber nun nicht mehr. In manchen Momenten wünschte er, das alles sei nur ein Traum, und Naomi und er hätten normale Kinder, die am Sonntagmorgen zu ihnen ins Bett krabbelten, anstatt vor dem Fernseher zu sitzen, wie gebannt einem Vortrag über Halogengase zu lauschen und ihre Haustiere zu ermorden.
Mit einem Doppelklick aktivierte er den Webbrowser, und während er darauf wartete, dass er sich öffnete, dachte er an seine eigene Kindheit zurück. Wann genau war ihm klar geworden, dass es böse war, Lebewesen zu töten? Sein Gewissen musste es ihm gesagt haben. Die Schuldgefühle, die der Tod des Spatzen in ihm ausgelöst hatte, hatten ihn in gewisser Weise nie mehr verlassen. Man musste Kindern nicht beibringen, dass Töten böse war. Jedes normale Kind wusste das intuitiv.
Oder nicht?
John öffnete den Suchverlauf, um sich alle Webseiten anzusehen, auf denen Luke und Phoebe gewesen waren. Das war nun wirklich unglaublich! Vor nur vierundzwanzig Stunden hatten sie den Computer geschenkt bekommen, und schon fand er unzählige Websites, die sie besucht hatten. Alle hatten mit Bildung zu tun. Meist waren es Wissenschaftsseiten, manche für Kinder, andere für Teenager, wieder andere für ein Fachpublikum konzipiert. Medizin, Biologie, Physik, Mathematik, Chemie, Biochemie und daneben eine Flut von anthropologischen, historischen und biographischen Seiten.
Er war so in seine Tätigkeit vertieft, dass er die beiden ernsten Gesichter nicht bemerkte, die ihn von der Tür aus beobachteten.
Grundzüge der Biologie. Gesetze der Entropie. Bildung von Nukleotidproteinen. Logik für Fortgeschrittene. Infinitesimalrechnung.
Ein kaltes Kribbeln zog sich an seiner Wirbelsäule entlang, als er die Liste herunterscrollte. Das war unmöglich! Nie und nimmer konnten Dreijährige etwas von diesem Zeug lesen oder gar verstehen – rein gar nichts davon!
Er wurde von Naomi unterbrochen, die von unten rief, Frühstück sei fertig.
John legte ein neues Passwort fest, damit die Kinder sich nicht reinschleichen und hinter ihrem Rücken den Computer benutzen konnten. Dann fiel ihm auf, dass er noch immer seinen feuchten, verschwitzten Trainingsanzug trug. Rasch streifte er ihn ab und ging unter die Dusche. Als er ein paar Minuten später die Treppe hinuntereilte – jetzt in Rollkragenpullover, Jeans und seinen abgetragenen, alten bequemen Ledersegelslippern –, war er noch immer tief in Gedanken.
Die übrige Familie saß bereits an dem alten Eichenklostertisch, der sich unter Frühstücksflocken, Schüsseln mit Obstsalat, Müsli, Joghurt, einem Korb Brioches und einem anderen mit Toast sowie einer Platte voller gebratener Eier, Speck, Würsten und Tomaten bog. Luke schüttete sich Rice Krispies in eine Schüssel, wobei er sehr geschickt mit der großen Packung hantierte, Phoebe löffelte Schokoladenjoghurt aus
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