Nur dein Leben
sie dann dich und mich auf, um unsere inneren Organe zu inspizieren!«
Sie ging ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich. John blätterte die Zeitung durch, konnte sich aber auf keinen Artikel konzentrieren. Nach ein paar Minuten kam Naomi wieder heraus, im Morgenmantel, mit gebürsteten Haaren und Zahnpastaatem. Ihre Miene verhieß nichts Gutes. Sie fuhr mit den Füßen in die Hausschuhe und ging hinaus auf den Flur in Richtung Abstellraum. Luke und Phoebe saßen im Schlafanzug dicht nebeneinander auf dem Fußboden vor dem Computer und sahen aufmerksam ein Schachspiel an. Ohne Vorwarnung packte Naomi Phoebe am Arm und zerrte sie aus der Kammer. »Wir beide werden uns jetzt mal unterhalten, Phoebe, und wenn es den ganzen Tag dauert, wir werden uns unterhalten. Und euer Daddy wird mit Luke reden, meinetwegen auch den ganzen Tag. Und wenn es sein muss, auch noch die ganze Nacht.«
»Luke!«, sagte John.
Luke ignorierte ihn vollkommen und bewegte die Maus.
Ob sich Naomis Wut auf ihn übertrug oder sein eigener Zorn endlich zum Ausbruch kam: John packte Luke, gewaltsamer als je zuvor, zerrte ihn zur Tür hinaus und folgte Naomi und Phoebe die Treppe hinunter.
Er zerrte seinen schweigenden, passiven Sohn über den Flur, durch die Küche und zur Hintertür hinaus, immer hinter Naomi her, und schleifte ihn förmlich über den Rasen.
Naomi, Phoebe fest an der Hand, klappte den Mülleimer auf und zog eine schwarze Mülltüte heraus. »Ist sie das?«, fragte sie, an John gewandt.
Achselzuckend antwortete er: »Könnte sein.«
Naomi ließ Phoebe los, die steif und ausdruckslos auf dem gefrorenen Rasen lag, knotete die Tüte auf und kippte den Inhalt heraus. Die Körper von Karamell und Nutella purzelten heraus und blieben inmitten der Überreste ihrer inneren Organe auf dem Gras liegen.
Mühsam unterdrückte sie das Weinen und starrte von einem Tierchen zum anderen und sagte: »Das waren eure Haustiere. Ihr habt sie liebgehabt. Ihnen Küsschen gegeben. Ihr solltet euch um sie kümmern. Ihr habt so getan, als hättet ihr sie lieb. Warum habt ihr sie getötet? Warum habt ihr ihnen das angetan? Warum?«
Luke antwortete, klarer und ruhiger, als sie je gehört hatten. »Sie sind eine sehr niedrige Lebensform.«
Naomi sah John an. John, erstaunt über Lukes plötzlich so deutliche Ausdrucksweise, rang um Beherrschung und hakte nach: »Und das gibt dir das Recht, sie umzubringen, Luke?«
»Du hast sie uns geschenkt, Daddy«, erwiderte Luke.
John hätte gleichzeitig weinen und lachen können. Luke redete mit ihnen! Er reagierte auf sie! Das war ein unglaublicher Durchbruch – und dennoch furchtbar. Die Umstände verboten es, glücklich darüber zu sein. John sah Naomi an, und ihr Blick drückte dieselbe Fassungslosigkeit aus. Er sagte: »Luke, wir haben sie euch geschenkt, damit ihr Freude an ihnen habt und sie versorgt, nicht, damit ihr sie tötet.«
»Meerschweinchen werden sowieso nur fünf Jahre alt«, fiel Phoebe ein.
John und Naomi sahen ihre Kinder plötzlich in einem völlig anderen Licht. Sie kommunizierten mit ihnen! Das allein war schon bemerkenswert, minderte aber nicht ihre Schuld oder das Bizarre des Vorgangs an sich.
»Aber meint ihr denn nicht, dass sie ein Recht darauf hatten, wenigstens fünf Jahre zu leben?«, fragte John. »Ihr seid Menschen, Menschen leben achtzig Jahre.«
»Tella hatte eine kleinere Leber als Karamell«, erwiderte Phoebe.
»Und Karamell wäre sowieso mit zwei Jahren an Nierenversagen gestorben; er hatte abnorme Cystinwerte«, fügte Luke ernsthaft hinzu.
Und herrisch.
Unglaublich herrisch.
Naomi lief es kalt den Rücken hinunter. »Wirklich?«, fragte sie. »Was haben diese Cystinwerte zu bedeuten?«
»Cystine sind Proteine, die die Zellwände der Nieren zerstören«, antwortete Phoebe und sah ihre Mutter an, als sei sie verblödet.
»Und Nutella?«, fragte Naomi. »Wie waren ihre Cystinwerte?«
»Normal«, antwortete Phoebe nur.
»Warum hast du sie dann getötet?«, fragte Naomi.
»Habe ich nicht«, entgegnete Phoebe indigniert.
»Verstehe«, sagte Naomi. »Du hast sie aufgeschnitten und ihre Organe entnommen, aber du hast sie nicht getötet. Stimmt’s?«
»Nein, sie ist gestorben. Sie war ungehorsam. Wir haben nicht gesagt, dass sie sterben darf, wir haben ihr nicht die Erlaubnis dazu gegeben.«
84
JOHN FOLGTE NAOMI INS HAUS, ging ohne Umweg hinauf in die Abstellkammer, zog den Stecker des Kindercomputers und nahm ihn an sich. Er erinnerte sich daran, wie
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