Nur dein Leben
würde jede Mutter wollen. Aber ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin. Bevor Sie weiter an Ihrer Beziehung zu Luke und Phoebe arbeiten können, müssen Sie auf jeden Fall erst Ihre Ziele ändern. Wir müssten das ein oder andere neu definieren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Zunächst könnte es Ihnen helfen, sie nicht mehr so sehr als kleine Kinder zu betrachten. Sie haben für ihre Geburtstagsfeier einen Clown engagiert, richtig?« Sie starrte sie an.
»Glauben Sie, dass das ein Fehler war?«, fragte John zurück.
»Ja. Wenn Sie einen Kontakt zu ihnen herstellen wollen, müssen Sie Ihre Einstellung von Grund auf ändern und beginnen, sie wie Teenager zu behandeln, denn in diesem Stadium befinden sie sich auf intellektueller Ebene.«
»Und was ist mit ihrer Kindheit?«, fragte Naomi. »Und welche anderen Teenager würden sich für sie interessieren? Das ist einfach so – ich meine …« Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß, dass es Wunderkinder gibt, die mit zwölf an die Universität gegangen sind, aber wenn man Jahre später wieder von ihnen hört, waren sie mit dreißig ausgebrannt. Sie wollen uns quasi sagen, dass wir die Regelbücher zerreißen sollen.«
»Mrs. Klaesson«, sagte die Psychologin, sanft, aber eindringlich, »es gibt keine Fachliteratur zum Zerreißen. Ich befürchte, Sie und Ihr Mann haben alle Ratgeber an dem Tag zum Fenster hinausgeworfen, an dem Sie zu Dr. Dettore gegangen sind.«
90
ALS NAOMI DURCH DIE WINDSCHUTZSCHEIBE hinaus auf die verregnete Landschaft blickte, dachte sie niedergeschlagen:
Januar.
Diese öden Wochen, nachdem der Weihnachtsschmuck abgenommen worden war, der Winter keinerlei Freuden mehr barg und man noch den Februar und viele Märztage vor sich hatte, bis das Wetter sich endlich besserte.
Zwei Uhr nachmittags und es dämmerte bereits. In zwei Stunden würde es fast dunkel sein. Als John in ihre Auffahrt schwenkte, fuhr der Saab durch eine tiefe Pfütze und Wasser spritzte über die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer schlugen es weg. Naomi starrte die nackten, kahlen Hecken an. Eine grüne Plastiktüte hing in den Brombeerdornen und flatterte im Wind. Eine Fasanenhenne trippelte verloren am Wegrand entlang wie ein Spielzeug mit schwächelnder Batterie.
Das Viehgitter klapperte, dann knirschten die Reifen über den Kies. John parkte das Auto vor dem Haus, zwischen Naomis schmutzigem weißen Subaru und dem kleinen Nissan Micra ihrer Mutter.
Nachdem die Scheibenwischer ruhten, überzog der Regen die Windschutzscheibe mit einem undurchsichtigen Film. Naomi drehte sich zu John und erschrak über sein elendes Aussehen. Sie sagte: »Weißt du, Schatz, bisher war ich ja immer dagegen, die Kinder von anderen betreuen zu lassen, und letzte Woche habe ich den Vorschlag von Dr. Michaelides, sie in eine spezielle Schule zu schicken, rundheraus abgelehnt – aber nach dem heutigen Termin denke ich anders. Sie könnte recht haben; vielleicht sollten sich besser Spezialisten ihrer annehmen – sie erziehen, sie unterrichten, wie immer man es nennen mag.«
»Hast du nicht das Gefühl, damit klein beizugeben?«, fragte John.
»Wenn wir uns wegen Luke und Phoebe fix und fertig machen, würden wir klein beigeben. Wir müssen uns von dem Gefühl verabschieden, in irgendeiner Hinsicht versagt zu haben. Stattdessen müssen wir einen Weg finden, ihr Leben positiv für sie – und für uns – zu gestalten.«
Still saß er da. Dann berührte er mit einer Hand ihre Wange und sagte: »Ich liebe dich. Ich liebe dich von ganzem Herzen, und es tut mir leid, dass ich dir all das aufgebürdet habe.«
»Ich liebe dich auch. Deine Kraft hat mir geholfen, über Halley hinwegzukommen.« Sie lächelte unter Tränen. »Jetzt haben wir zwei gesunde Kinder. Wir … Wir …« Sie schniefte. »Wir sollten einfach dankbar sein für das, was wir haben, meinst du nicht auch?«
»Natürlich.« Er nickte. »Du hast recht. Das müssen wir.«
Mit eingezogenen Köpfen rannten sie durch den Regen und gingen ins Haus. Während sie ihren Mantel abstreifte, rief Naomi: »Hallo! Wir sind wieder da!«
John hörte Stimmen mit amerikanischem Akzent. Er schälte sich aus seinem nassen Mantel, hängte ihn an die Garderobe und folgte Naomi ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß im Wohnzimmer und stickte an einem Gobelin. Im Fernsehen lief ein alter Schwarzweißfilm, den sie, wie üblich, fast ohrenbetäubend laut aufgedreht hatte.
»Und, wie war’s?«, fragte Naomis Mutter sie.
»Danke,
Weitere Kostenlose Bücher