Nur dein Leben
ganz gut«, erwiderte Naomi und stellte den Fernseher ein wenig leiser. »Wo sind die Kinder?«
»Oben, sie spielen am Computer.«
»Hat jemand angerufen?«
»Nein, niemand.« Stirnrunzelnd blickte sie auf eine Stelle in ihrem Gobelin und fuhr dann geistesabwesend fort: »Aber wir hatten Besuch, etwa eine Stunde, nachdem ihr gefahren seid.«
»Wen denn?«, fragte Naomi.
»Einen sehr netten jungen Mann. Ich glaube, er war Amerikaner.«
»Amerikaner?«, wiederholte Naomi ein wenig besorgt. »Was wollte er denn?«
»Ach, er hatte sich in der Adresse geirrt, er hat irgendeine Soundso-Farm gesucht – ich weiß es nicht mehr genau –, ich habe den Namen noch nie gehört.«
»Wie sah der Mann denn aus?«, fragte John.
Naomis Mutter dachte einen Moment lang angestrengt nach und antwortete dann: »Er war sehr adrett angezogen und äußerst höflich. Er trug Hemd und Krawatte und einen dunklen Anzug. Er hat mich an deinen Vater erinnert, weißt du? Wenn dein Vater eine Krawatte trug, hat er oft in der Eile vergessen, die Hemdknöpfe darunter zu schließen. Der junge Mann hatte ebenfalls zwei Hemdknöpfe vergessen und daher sah ich, dass er eines dieser christlichen Kreuze trug – wie heißen die noch mal – meine Güte, wie mein Gedächtnis dieser Tage nachlässt, ständig vergesse ich Wörter! Wie heißen die denn noch mal? Oh ja, natürlich, wie dumm von mir – ein Kruzifix.«
91
Amerikaner. Kruzifix.
John saß in seinem Büro, er zitterte am ganzen Körper.
Vielleicht hatte sein Besuch gar nichts zu bedeuten …
Nur, dass ein Haufen durchgeknallter amerikanischer Fanatiker, die sich Apostel nannten, Ehepaare ermordet hatten, die bei Dr. Dettore gewesen waren und Zwillinge hatten, und jetzt war ein Amerikaner mit einem Kreuz um den Hals bei einem entlegenen englischen Haus aufgetaucht, in dem zufälligerweise ein Ehepaar wohnte, das bei Dr. Dettore gewesen war und Zwillinge hatte.
Er überlegte, welche Sicherheitsmaßnahmen sie noch ergreifen konnten. Sie hatten Panzerglas. Fensterschlösser. Bewegungsmelder. Sicherheitsschlösser in den Türen. Eine Alarmanlage, die mit einem Sicherheitsdienst verbunden war. Panikknöpfe. Vielleicht sollte er Naomi und die Kinder wenigstens für eine Weile von hier fortbringen – vielleicht nach Schweden?
Oder sollten sie in ein Hotel ziehen? Aber für wie lange?
Sie überlegten, sich Wachhunde anzuschaffen, und es gab eine Schutzmaßnahme, die sie bisher noch nicht ergriffen hatten. Die Sicherheitsfirma, die ihr Haus ausgerüstet hatte, hatte ihnen ein Angebot gemacht, aber es war eine ziemlich kostspielige Sache und damals hatten sie die Notwendigkeit nicht eingesehen. Jetzt bedauerte er ihre Entscheidung. Er ging zum Aktenschrank, öffnete die unterste Schublade und zog die Akte mit der Aufschrift
Sicherheitssysteme
heraus.
Dann rief er die Firma an und fragte, wie schnell sie die Überwachungskameras installieren könnten, für die sie ihnen ein Angebot unterbreitet hätten. Sie sagten, es würde etwa zehn Tage dauern. John erwiderte, wenn sie sie morgen anbringen könnten, würde er sie unverzüglich bestellen. Man bat ihn, einen Moment zu warten und dann hieß es, sie kämen um neun Uhr morgen früh, um das System zu installieren.
Nachdem er aufgelegt hatte, schrieb John eine E-Mail an Kalle Almtorp bei der schwedischen Botschaft in Kuala Lumpur.
Kalle, hoffe, Du hattest schöne Weihnachtstage und einen guten Rutsch ins neue Jahr – kein Schnee, nehme ich an??
Im Dezember hast Du mir geschrieben, Deine Kontaktperson beim FBI hätte gesagt, es gäbe inzwischen eine Spur, die zu den Aposteln des Dritten Jahrtausends führt. Ich frage deswegen nach, weil sich hier eine potentiell besorgniserregende Situation ergeben hat und ich wissen muss, wie besorgt ich sein soll. Da es sehr dringend ist, wäre ich über jede weitere Information, die Du mir geben kannst, wirklich sehr dankbar.
Viele Grüße an Anna und die Kinder.
Hälsningar!
John
Er verschickte die E-Mail und ging hinauf in die Abstellkammer, wo Luke und Phoebe auf dem Boden vor ihrem Computer saßen. Sie hatten ihn wohl kommen hören, denn er sah den Bildschirm flackern, als er den Raum betrat, ganz so, als hätten sie rasch von der Seite, die sie sich angesehen hatten, auf eine unverfängliche umgeschaltet.
»Hi!«, sagte er.
Keiner der beiden sah ihn an.
Lauter wiederholte er: »Luke! Phoebe! Hallo!«
Beide drehten gleichzeitig langsam die Köpfe und sagten: »Hallo.« Dann starrten
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