Nur dein Leben
steckte es wieder ein. Trotz der Klimaanlage fühlte er sich unbehaglich in seinen dicken Winterjeans, dem Rollkragenpullover und der Lederjacke. Er zog die Jacke aus und rollte sie auf seinem Schoß zusammen. »Ist dir nicht heiß?«, wollte er gerade zu Naomi sagen, da bemerkte er, dass der Wagen langsamer wurde und der Fahrer den Blinker gesetzt hatte.
Sie bogen von der Schnellstraße ab auf eine lange, schnurgerade Straße, die mitten in die Wüste führte. Johns Bedenken wuchsen. Nichts als Finsternis lag hinter ihnen – und vor ihnen.
Nachdem sie fünf Minuten lang mit hoher Geschwindigkeit diese Straße entlanggerast waren, erstreckte sich vor ihnen ein Komplex von Industriegebäuden, umgeben von Stacheldraht, ringsum grell von Scheinwerfern erleuchtet. Irgendeine Fabrik oder ein Lager.
Sie hielten an einem Pförtnerhäuschen vor einem geschlossenen Stahltor. Der Fahrer ließ seine Scheibe hinunter und sprach mit einem bewaffneten Wachmann. Kurz darauf öffnete sich das Tor, und sie fuhren in Richtung des Gebäudekomplexes. John hielt Naomis Hand, die Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Waren Luke und Phoebe hier?
Doch dann entfernten sie sich wieder von den Gebäuden, und es ging erneut hinaus in die Wüste. Plötzlich wehte John der Geruch von Kerosin in die Nase, und er wusste, wohin die Reise ging.
Ein paar hundert Meter vor ihnen stand ein Flugzeug, nicht viel kleiner als eine Linienmaschine. Zunächst zeichnete sich nur die Silhouette ab, doch dann trat es im Scheinwerferlicht immer deutlicher hervor.
»Scheint so, als ginge die Reise ins Ungewisse weiter«, bemerkte John trocken, seltsam erleichtert beim Anblick des Flugzeugs, als bestätige es ihm, dass sie zumindest nicht hier rausgebracht worden waren, um ermordet zu werden.
War das der Jet, den Luke und Phoebe in Le Touquet bestiegen hatten? Das Kabinenlicht fiel durch die Reihe der Fenster und aus der offenen Tür oben an der Gangway. Der Geruch nach Kerosin war jetzt noch wesentlich intensiver.
Der Mercedes hielt an. Der hintere Schlag wurde geöffnet und starkes Scheinwerferlicht blendete John für einen Moment. Draußen vor dem Auto hörte er heftige Stimmen, ein Streit wegen irgendetwas, dann wurde es wieder ruhig.
Der Fahrer sagte: »Bitte kommen!«
Sie stiegen aus. Inzwischen war es nicht mehr so heiß, und John war froh, dass er seine Lederjacke anziehen konnte. Der Fahrer öffnete den Kofferraum und reichte ihm die Reise- und die Laptoptasche. Dann brachte sie ein mit beiden Armen aufgeregt gestikulierender Araber zur Gangway.
John stieg hinauf, und als er die oberste Stufe erreichte, sah er im Inneren der Maschine links und rechts einen jungen Mann und eine junge Frau stehen, reglos, wie Wachtposten. Sie waren hochgewachsen, auffällig in schneeweiße Overalls und Turnschuhe gekleidet, und beide sahen umwerfend gut aus. John schätzte sie auf Anfang zwanzig. Der Mann hatte erstklassig geschnittene blonde Haare und die Art von gebräunten, wie gemeißelten Gesichtszügen, wie man sie sonst nur bei männlichen Models auf den Modeseiten der Zeitschriften sieht. Die Frau, ebenfalls blond, war schlank und besaß die perfekte Haltung eines Topmodels. Keiner lächelte; beide wirkten ein wenig arrogant.
John, der auf Naomi wartete, fühlte sich sofort von ihnen eingeschüchtert. »Hallo«, begrüßte er sie lächelnd und versuchte, damit das Eis zu brechen.
»Willkommen an Bord, Dr. und Mrs. Klaesson«, sagte der junge Mann mit kalter, abgehackter New-England-Aussprache, die nicht die Spur gastfreundlich klang.
»Sie können sich Ihre Plätze aussuchen«, sagte die Frau in einem ähnlichen Dialekt und noch kühlerem Tonfall.
»Wohin fliegen wir?«, fragte John.
»Bitte stellen Sie uns keine Fragen«, sagte der Mann. »Wir sind nicht befugt, Ihnen zu antworten.«
»Bitte verraten Sie uns nur eines«, bat Naomi. »Sie bringen uns doch zu Luke und Phoebe, oder?«
»Ich empfehle Ihnen die Sitze ganz am Ende«, sagte die Frau. »Sie sind am weitesten von den Motoren entfernt. Dort ist es am ruhigsten.«
Naomi starrte sie an. Die Frau blieb vollkommen ausdruckslos. Wut kochte in Naomi hoch, doch sie unterdrückte sie. Sie musste jetzt ruhig bleiben und durfte ihre Mission nicht gefährden. Ihnen blieb jetzt nichts, als zu hoffen.
Zu ihrer Linken befand sich die geschlossene Tür zum Cockpit. Sie wandten sich nach rechts und durchquerten einen Bereich, der wie ein kleines Sitzungszimmer gestaltet war, mit einem ovalen
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