Nur dein Leben
Unter ihr rumpelten die Räder über ein schlechtes Straßenstück. Naomi achtete nicht auf die anderen Autos; sie wollte weder einen Porsche noch ein Mercedes-Cabrio, noch einen schicken Offroader. Für sie waren Autos nichts als Transportmittel. Dennoch – als sie durch den Spätnachmittagsdunst auf die Hollywood Hills starrte, erkannte sie, dass die sieben Jahre Los Angeles sie in einer Art und Weise verändert hatten, wie das Leben in dieser Stadt so viele veränderte.
Los Angeles brachte einen dazu, Geld haben zu wollen. Unwillkürlich ertappte man sich plötzlich dabei, Dinge zu begehren, die einen nie zuvor interessiert hatten. Und Gefühle zu empfinden, die einem bisher fremd waren. Neid zum Beispiel.
Naomi liebte ihr bescheidenes kleines, einstöckiges Haus südlich von Pico. Es hatte eine Dachterrasse und im Garten stand ein Orangenbaum, der einmal im Jahr köstlich süße Früchte trug. Das Innere war hell und luftig. Es war ihr Heim, ihre Zuflucht. Doch manchmal dachte sie beim Anblick der schicken Anwesen oben in den Hollywood Hills oder am Strand von Malibu unwillkürlich, dass man dort doch wunderbar ein Kind großziehen könne.
Sie presste eine Hand auf ihren Bauch. Luke war erst ein winziger Zellklumpen in ihr, gerade mal zwei Wochen alt, der aber in ein paar Jahren zur Schule gehen würde.
Für mich bist du jetzt schon ein kleiner Mensch, Luke. Wie findest du das? Prima? Ich auch.
Nach Halleys Geburt hatten ihr alle zugeredet, die besten Schulen gäbe es in Beverly Hills und dies seien überhaupt die einzigen Schulen, die Eltern für ihre Kinder ernsthaft in Betracht ziehen sollten – es sei denn, natürlich, man wolle unbedingt, dass sein Sohn als pistolenbewaffneter Crackdealer endete. Doch wie sollten sie sich jemals ein Haus in Beverly Hills leisten?
Johns Einkünfte waren so bescheiden. Er arbeitete an einem Buch. Obwohl manche kryptischen Wissenschaftsbücher zu Bestsellern wurden, hatte sich sein letztes trotz der lobenden Kritiken in der akademischen Presse nur zweitausendmal verkauft. Und er hatte sich noch darüber gefreut, denn er hatte gar nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet.
Sie beschloss, wieder voll in ihren Job einzusteigen. Seit Halleys Tod hatte sie freiberuflich gearbeitet und gelegentlich PR -Arbeiten angenommen, wenn sie das Gefühl hatte, stark genug zu sein. Ab der kommenden Woche hatte sie einen Auftrag für die nächsten zwei Monate, Werbung für einen neuen Oliver-Stone-Film, doch danach hatte sie noch nichts in Aussicht. Es wurde Zeit, ernsthaft Akquise zu betreiben, ihre Kontaktpersonen in den Studios, bei den Fernsehsendern und freien Unternehmen anzurufen und vielleicht nach Lukes Geburt wieder eine Festanstellung anzunehmen. Etwas mit Aufstiegsmöglichkeiten, vielleicht Showtime, HBO , MTV oder Comedy Central, wo sie die Chance hatte, ins Producing aufzusteigen und endlich richtig Geld zu verdienen.
Genug, um nach Beverly Hills zu ziehen.
Das war ein Hoffnungsschimmer inmitten der Rezession.
Wobei noch nicht einmal sicher war, dass sie in LA bleiben würden. Nächstes Jahr wäre John reif für eine Festanstellung bei der USC , doch er hatte keine Ahnung, ob er sie erhalten würde. Wenn ja, würde er lange Zeit in LA bleiben, vielleicht sogar für den Rest seines Arbeitslebens. Wenn nicht, mussten sie eventuell in eine andere Stadt umziehen, ja sogar in ein anderes Land. Obwohl Naomi die USA mochte, träumte sie davon, eines Tages wieder in England zu leben, irgendwo in der Nähe ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Harriet.
Es war ein seltsames Gefühl, wieder zurück zu sein. Keiner von ihnen hatte im Flugzeug viel gesagt. Naomi hatte versucht, sich einen Film anzusehen, aber sie zappte nur herum, unfähig, sich zu konzentrieren. Auch das Buch, das sie sich am Flughafen gekauft hatte, konnte sie nicht fesseln. Es hieß:
Das ungeborene Kind – was Sie für seine Gesundheit tun können.
Sowohl John als auch Naomi sahen die Welt plötzlich mit anderen Augen. Nach den vier Wochen Isolation auf dem Schiff waren sie plötzlich wieder Teil der Wirklichkeit. Sie blickten neun Monaten Schwangerschaft entgegen und mussten die Umstände, die dazu geführt hatten, vor allen geheim halten. Sie mussten jeden Penny zweimal umdrehen. Es gab tausend Dinge zu erledigen und zu organisieren.
Naomis Schwangerschaft mit Halley war normal, aber nicht besonders angenehm verlaufen, doch keine Schwangerschaft war gleich. Einigen ihrer Freundinnen schien sie kaum
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