Nur dein Leben
vertraue ihm. Aber er vermittelt mir nicht länger das Gefühl, fliegen zu können.
Ich frage mich, ob alle Beziehungen irgendwann an diesen Punkt gelangen. Einen Zustand, in dem man sich miteinander wohl fühlt. In dem die Träume auf dem Boden der Tatsachen landen, in dem man begreift, dass das Geheimnis des Lebens darin besteht, zu erkennen, wann es gut ist.
Und dass man verdammtes Glück hat.
Ich habe jedoch das Gefühl, dass Leo Dettore nach mehr strebt. Dass sich hinter all seinem Charme eine Ruhelosigkeit, eine Unzufriedenheit verbirgt. Normalerweise finde ich leicht Zugang zu anderen Menschen, aber trotz seiner Liebenswürdigkeit werde ich mit ihm nicht warm. Manchmal glaube ich, er verachtet normale menschliche Gefühle und findet, wir sollten sie überwinden und auf eine Art höhere Ebene gelangen.
Ich glaube langsam, er hat seine eigenen Pläne.
12
Naomis Tagebuch
Wie bizarr! Wir sind auf diesem Schiff von modernster Technik im Wert von Millionen umgeben, und trotzdem musste sich John heute in eine Kabine neben einem der Labors setzen, bewaffnet mit einem Plastikbecher, einer Schachtel Kleenex und einer Auswahl von Pornofilmen. Ich hoffe, dass Luke niemals dieses Tagebuch liest, denn ich möchte, dass er romantische Vorstellungen von seinem Ursprung hat. Ich möchte ihn in dem Glauben lassen, dass er auf einer Kreuzfahrt durch die Karibik gezeugt wurde. Er soll nicht erfahren, dass sein Vater mit heruntergelassener Hose Pralle Möpse treffen Big Boy geguckt hat.
Dr. D hat einen netten Begriff dafür: ernten. Zu John hat er gesagt: »Sie brauchen nur etwas von Ihrem Sperma zu ernten.« Wir stehen beide voll und ganz hinter unserem Vorhaben, aber ich ertappe mich immer öfter bei dem Gedanken: Wir sollten es vielleicht lieber sein lassen, nach Hause fliegen und uns eine andere Methode einfallen lassen, unser Problem zu lösen. Wir könnten ein Kind adoptieren, ein Pflegekind nehmen oder mich mit Spendersamen befruchten lassen. Oder einfach gar keine Kinder haben. Viele Paare haben keine.
Ich vermute, Dr. D ist sauer darüber, dass wir so wenige von seinen Optionen gewählt und unter den fast dreitausend Kästchen nur ein paar Dutzend angekreuzt haben. Wir haben lediglich eingewilligt, dass die Krankheitsgene eliminiert werden, sichergestellt, dass Luke mindestens sechs Fuß groß wird und einigen Veränderungen in seinem Stoffwechsel zugestimmt, durch die er fit und gesund bleiben wird. Hätte Dettore seinen Kopf durchgesetzt, wäre am Ende mit unserer Erlaubnis eine Art Superman erschaffen worden. Nein danke!
Aber eines muss man Dr. D lassen: Er kann gut erklären.
Heute haben wir tüchtig geerntet. Johns Samen und meine Eizellen. Dr. D war entzückt von dem Ergebnis – zwölf Eizellen insgesamt. Er beteuerte, die schmerzhaften Injektionen hätten sich gelohnt (er hat leicht reden, schließlich musste er sie nicht erdulden).
Momentan lässt er den genetischen Code jeder Eizelle analysieren. Die stärkste wird ausgewählt. Wenn ich richtig verstanden habe, werden einige der Krankheitsgene entfernt oder unschädlich gemacht, indem man ihre Zytokine verändert (ich glaube, das hat er gesagt), andere werden so programmiert, dass sie sich selbst zerstören. Zugleich wählt das Laborteam eines von Johns Spermien aus, dessen Genom ähnlich analysiert und behandelt wird. Vorher wurden die X- von den Y-Spermien getrennt und nur die Y-Spermien begutachtet, denn schließlich haben wir uns einen Jungen gewünscht.
Dr. D wartet ab, bis sich die befruchtete Eizelle dreimal geteilt hat und acht Zellen entstanden sind. Diese acht werden genetisch gescreent. Dann wählt er die mit den günstigsten Eigenschaften und manipuliert sie nach Ermessen. Klingt nicht sehr romantisch, oder?
Wenn alles nach Plan verläuft, sind wir in vierzehn Tagen wieder zu Hause. Und ich bin schwanger.
Wie ich mich wohl fühlen werde?
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FÜR NAOMI WAR GELD NIE besonders wichtig gewesen. In Gedanken versunken saß sie in Johns alterndem Volvo, der sie über die 405 nach Hause brachte. Ihre Füße gruben sich in den Papierhaufen im Fußraum: fotokopierte Unterlagen, Flugblätter, ein Programmheft, Kaugummi- und Schokoriegelpapierchen, Tankquittungen, Parkzettel. Das Innere von Johns Auto war teils Archiv, teils Papierkorb, und das Chaos schien ihn nicht zu stören. Die reinste Müllhalde, als hätten bis vor kurzem Hühner darin gehaust.
Während des Fahrens redete er über die Freisprechanlage mit einem Arbeitskollegen.
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