Nur dein Leben
Hauptgrund für unsere Anwesenheit hier, dass wir die Zukunft unseres Kindes selbst in die Hand nehmen und es nicht einer willkürlichen Selektion aussetzen wollen? Wenn wir – Gott behüte! – einwilligen würden, dass seine Gehirngene manipuliert werden, wie Dr. Dettore uns fortwährend drängt, und es gelänge uns, ein klügeres menschliches Wesen zu kreieren, könnte es dann nicht auch bessere Problemlösungen finden? Würde unser Sohn nicht die Antwort auf sein Dilemma wissen?«
»Wir versuchen nur, ein gesünderes Kind mit einigen zusätzlichen Vorteilen zu bekommen – das ist alles, was wir beide tun können«, erwiderte John. »Wir können keine bessere Welt erschaffen.«
»Aber wenn du sein Gehirn manipulieren könntest, würdest du dann das Kästchen für die Gene ankreuzen, die diese bessere Person dazu brächten, seinen Freund dem Feind zu überlassen und weiterzufliehen?«
»Wenn wir ihn ernsthaft zu höheren Leistungen befähigen wollen, müsste er solche schwierigen Entscheidungen treffen und damit leben können.«
Naomi berührte John am Arm und blickte ihm forschend ins Gesicht. »Ich finde das furchtbar.«
»Welche Lösung schlägst du vor?«
»Wenn wir wirklich in den Verstand unseres Kindes eingreifen, dann so, dass es mit einem ethisch wesentlich gefestigteren Wertesystem aufwächst als jedes, das wir augenblicklich in der Lage sind zu verstehen. Wäre er dann nicht wahrhaft ein besserer Mensch?«
John starrte über die leeren Liegestühle hinweg zur Reling und auf das Meer dahinter. »Was würde dein besserer Mensch tun?«
»Er bliebe bei seinem Freund und wäre zufrieden mit dieser Entscheidung – weil er wüsste, dass er nicht damit leben könnte, allein weitergegangen zu sein.«
»Das ist eine ehrenwerte Sichtweise«, sagte John. »Aber ein so programmiertes Kind hätte im realen Leben keine Chance.«
»Und genau deswegen werden wir nicht mit den Genen für Mitgefühl und Sensibilität spielen. Luke sollte einfach die unseren erben, ganz willkürlich. Wir sind beide fürsorgliche Menschen – es kann ihm nicht schaden, unsere Gene für solche Regungen zu tragen, oder?«
Ein Bordmechaniker ging an ihnen vorbei. Er trug eine Werkzeugkiste und sein weißer Overall war mit Ölflecken beschmutzt.
Genetische Unterklasse,
hallten Dettores Worte in Johns Kopf wider. In Huxleys
Schöner neuer Welt
wurden Arbeiterdrohnen gezüchtet, um die handwerklichen Tätigkeiten zu übernehmen. Das drohte den Kindern der Zukunft, wenn ihre Eltern nicht den Weitblick hatten, ihre Gene verändern zu lassen.
Und den Mut, wenn nötig schwere Entscheidungen zu treffen.
11
Naomis Tagebuch
Heute Abend haben wir in Kuba abgelegt. John raucht hin und wieder gern eine Zigarre und hat sich darüber geärgert, dass er nicht an Land gehen und sich welche kaufen durfte. Dr. Dettore, der meiner Meinung nach einen guten Politiker abgegeben hätte, hat uns zum Abendessen in seine private Speisekabine eingeladen. Hatte den Eindruck, dass allen »Klienten« einmal diese Ehre zuteilwird. Uns wurde so richtig Honig um den Bart geschmiert. John war vom Essen beeindruckt, und das passiert selten.
Heute hat uns Dettore gefragt, wie wir uns kennengelernt haben. Mehr noch: Er wollte wissen, was ich bei meiner ersten Begegnung mit John empfunden habe. Das war in Jackson Hole, Wyoming. Ich erzählte ihm, dass ich zwar gerne Ski fuhr, paradoxerweise aber Höhenangst hatte. Doch nicht mit John an meiner Seite! Wir trafen uns in einer Schlange am Skilift und bestiegen zusammen einen Zweiersessel. Wir verstanden uns auf Anhieb. Doch dann blieb die Seilbahn stehen, als wir uns gerade am höchsten Punkt befanden, auf halbem Wege eine Steilwand empor, unter uns siebzig Meter Abgrund. Dabei schaukelte unser Sessel wie verrückt hin und her. Allein hätte ich Todesängste ausgestanden, aber John brachte mich zum Lachen. Durch ihn fühlte ich mich, als könne ich fliegen, als sei ich zu allem fähig.
Das erzählte ich ihm. Alles andere verschwieg ich.
Ich erzählte ihm nicht, dass ich erst nach Halleys Tod erkannte, dass John seine Grenzen hatte, genau wie wir alle. Dass ich ihn eine Zeit lang hasste. Ich war davon überzeugt gewesen, er sei ein Gott, aber als es darauf ankam, konnte er kein Wunder vollbringen, sondern nur weinen. Er war genauso hilflos wie wir alle anderen auch. Heute liebe ich ihn noch immer, aber auf eine andere Art. Ich finde ihn immer noch wahnsinnig attraktiv. Ich fühle mich bei ihm sicher. Ich
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