Nur dein Leben
Mystisches für ihn. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, in die Zukunft zu greifen, nach etwas Neuem, einer bisher unbekannten Dimension, eine Herausforderung, vor die ihn eine wesentlich höhere Intelligenz gestellt hatte. Als sei jedes dieser kniffligen Probleme Teil eines kosmischen Puzzles und man könne durch ihre Lösung das Geheimnis der menschlichen Existenz lüften.
Auch die Biologie barg Schlüssel für die Rätsel des Lebens, aber die Forschungsgebiete waren stärker eingegrenzt. Die Genetik reizte ihn, aber letztendlich besaß die Systematik der Gene etwas Mechanisches. Er hatte den Eindruck, als könne man mit Hilfe der Genetik alles über ein menschliches Wesen erfahren, außer die Antwort auf die letzte Frage, die John sein ganzes Leben lang beschäftigt hatte: Warum existieren wir? Am Ende fand er die Biologen zu engstirnig. Relativ wenige von ihnen glaubten an Gott oder an eine höhere Form der Intelligenz. In den Reihen der Mathematiker und Physiker traf er auf liberalere Denkweisen, was ihn schließlich dazu bewog, Informatik zu studieren.
Als er schließlich in Uppsala an der besten Universität Schwedens sein Studium aufnahm, war ihm noch nicht bewusst, was trotz des rasanten technischen Fortschritts das Berufsleben der meisten akademischen Forscher prägte wie eh und je: der ständige Kampf um Forschungsmittel und Spenden, in dem sie nicht selten aufgerieben wurden. Wenn man keine Stelle bei einer Firma oder in einem Institut fand, wurden Forschungsprojekte immer nur für eine begrenzte Zeit, oft nur für drei Jahre, mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet. Infolgedessen investierte man einen großen Teil seiner Energie in das Schreiben von Briefen an Firmen, Institutionen und Stiftungen sowie in Bewerbungen, um an Drittmittel zu kommen, anstatt sich auf seine Forschungen zu konzentrieren.
An diesem Punkt stand John auch jetzt wieder. Sieben Jahre lang war er in Uppsala geblieben, hatte erst promoviert und dann eine Stelle als Postdoc erhalten. Letztendlich hatte er sich aber in Schweden zu eingeengt gefühlt, und er mochte auch die kurzen Wintertage dort nicht. Mit sechsundzwanzig hatte er die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, nach England an die Universität Sussex zu wechseln, wo er unterrichtete, aber auch als Teil eines Forschungsteams in Kognitionswissenschaften im Labor arbeitete. Institutsleiter war ein Mann, den John als echten Visionär betrachtete, Professor Carson Dicks, für den er schon gearbeitet hatte, als er ein Jahr als Gastwissenschaftler in Uppsala verbracht hatte.
John gefiel die wissenschaftliche Arbeit in Sussex unter Carson Dicks so sehr, dass er sich nicht an der schlechten Bezahlung störte, aber die gleichgültige Einstellung der Briten gegenüber der Forschung befremdete ihn. Nach drei Jahren verließ Dicks die Universität und ging an ein staatliches Forschungsinstitut. Kurz darauf, mit neunundzwanzig, wurde John eine Dozentenstelle mit Aussicht auf Festanstellung an der Universität Südkalifornien angeboten, mit eigenem Labor an einem staatlich finanzierten Institut. Dieses stand unter der Leitung von Dr. Bruce Katzenberg, einem weiteren Wissenschaftler, dessen Arbeit John sehr bewunderte. Begeistert sagte er zu.
Zu Johns Arbeit an der USC gehörte die Entwicklung und Erforschung virtueller Lebensformen – sein Traumprojekt, da er dabei sein Interesse an Physik und Biologie vereinen konnte. Jetzt, nach sechs Jahren, winkte ihm die Festanstellung. Wäre Dr. Katzenberg noch sein Chef gewesen, hätte er sie sicherlich erhalten.
Doch ein Jahr zuvor war Dr. Katzenberg von einer Softwarefirma in Silicon Valley abgeworben worden. Zu seiner Rechtfertigung vertraute er John an, man habe ihm ein Angebot gemacht, das nicht mal der Herrgott persönlich hätte ablehnen können. John blieb für sein Projekt weniger als ein Jahr Zeit, und die Aussicht auf weitere Mittel sah düster aus. Damit verringerten sich auch die Chancen auf eine Festanstellung und viele von Johns Kollegen begannen bereits, sich anderswo zu bewerben.
John war in Örebro aufgewachsen, einer kleinen, hübschen Universitätsstadt mitten in Schweden. Sie lag an den Ufern eines Flusses, und im Zentrum ragte ein mittelalterliches Wasserschloss auf. Im Sommer radelte John durch einen Park zur Schule, im Winter, wenn hoher Schnee lag, fuhr er auf Skiern hin. Er ging gern zu Fuß und liebte die weite, freie Natur. In LA fühlte er sich manchmal eingesperrt.
Mehr noch als Naomi vermisste er den
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