Nur dein Leben
schon angekommen sei?
»Ich wusste gar nicht, dass ein Fotograf mitkommt«, erwiderte John.
»Keine Sorge, es geht ganz schnell. Er macht nur ein paar Aufnahmen, falls wir sie brauchen sollten.«
Es dauerte noch fünfunddreißig Minuten, bis sie an seiner Bürotür klopfte. Der Fotograf war eingetroffen und gerade dabei, Mikes ganzes Büro umzuräumen.
Dettore hatte noch immer nicht zurückgerufen.
17
ES WAR COCKTAILSTUNDE, was bedeutete, dass die Lichter in der Hotelbar gedimmt waren und in einer Endlosschleife Chopin dudelte, als hocke irgendwo hinter den Bänken mit Topfpalmen versteckt ein Pianist. Die Klimaanlage war zu kalt eingestellt, doch die Tische und Stühle standen so geschickt verteilt, dass man sich gut unterhalten konnte. Der wahre Grund, warum John die Reporterin hierher gebracht hatte, war jedoch, dass dies einer der wenigen Orte in fußläufiger Nähe zum Campus war, der Alkohol ausschenkte.
Er folgte Sally Kimberly durch die Drehtür. Sie war eine höfliche, leise redende junge Frau Anfang dreißig in einem konservativen Kostüm, ein wenig untersetzt, jedoch mit einem attraktiven Gesicht und angenehmen Umgangsformen, ganz im Gegensatz zu einigen ihrer Kollegen, denen er früher begegnet war.
Er warf einen Blick auf ihre Hände, auf der Suche nach einem Verlobungs- oder Trauring. Sie trug mehrere einfache Ringe, aber nicht am Ringfinger der linken Hand. Was für ein merkwürdiger männlicher Instinkt, dachte er, irgendeine Fortpflanzungsdynamik, die tief in der Gattung verwurzelt war. Er selbst konnte nichts dagegen tun – er blickte immer zuerst auf den Trauringfinger.
Sie wählte einen Ecktisch im Hintergrund, nicht unmittelbar unter einem Lautsprecher, so dass die Aufnahme nicht durch die Musik gestört wurde, wie sie erklärte. Sie bestellte einen Chardonnay, er ein großes Bier. Er brauchte ein wenig Alkohol, um seine Nerven zu beruhigen, die schon durch die Ereignisse des heutigen Tages heftig erschüttert worden waren. Und jetzt auch noch dieses Interview!
USA Today
war eine große Zeitung. Ein guter Artikel würde seine Chancen auf eine Festanstellung erhöhen und vielleicht interessierte sich danach auch ein potentieller Sponsor für das Institut. Doch unerfreuliche Erfahrungen in der Vergangenheit hatten ihn gelehrt, dass man als Wissenschaftler der Presse und den Medien gegenüber misstrauisch sein musste.
Sally Kimberly stellte ihr kleines Aufnahmegerät auf den Tisch, schaltete es aber nicht ein. Stattdessen fragte sie: »Heißt Ihre Frau Naomi?«
»Naomi? Ja.«
»Natürlich! Jetzt fällt mir ein, woher ich Ihren Namen kenne! Sie arbeitet in der Fernseh- PR , oder? Naomi Klaesson?«
»Ja, für Film und Fernsehen.«
»Sie werden es nicht glauben, aber vor ungefähr sechs Jahren haben wir bei der Werbekampagne für eine Biologieserie auf dem Discovery Channel zusammengearbeitet!«
»Das ist ja wirklich ein Zufall!«, sagte John und versuchte verzweifelt, sich daran zu erinnern, ob Naomi die Frau irgendwann einmal erwähnt hatte. Möglich war es; er hatte ein wahnsinnig schlechtes Namensgedächtnis.
»Sie ist wunderbar, ich mochte sie sehr. Sie war damals schwanger …« Sie unterbrach sich. »Es – es tut mir leid. Das war nicht sehr taktvoll. Ich habe das mit Ihrem Sohn gehört. Es tut mir wirklich sehr leid für Sie beide. Bitte entschuldigen Sie, dass ich das Thema zur Sprache gebracht habe.«
»Ist schon okay.«
Nach einem kurzen Schweigen fuhr sie fort: »Und, wie geht es Naomi?«
»Oh – inzwischen wieder sehr gut, danke. Sie ist darüber hinweggekommen.« Am liebsten hätte er hinzugefügt: Und sie ist wieder schwanger! Doch er bremste sich rechtzeitig.
»Arbeitet sie immer noch in der PR ?«
»Ja. Im Moment für eine Dokumentationsfirma namens Bright Spark.«
»Oh, die kenne ich. Wow! Ich muss Naomi mal anrufen und mich mit ihr zum Mittagessen treffen. Sie hat so einen großartigen Sinn für Humor!«
John lächelte.
Ihre Getränke wurden serviert. Eine Weile lang plauderten sie oberflächlich über die guten und die schlechten Seiten des Lebens in Los Angeles bis hin zu den Qualitäten der verschiedenen eBook-Lesegeräte. Sally Kimberly nippte an ihrem Weißwein, John leerte sein Bier in wenigen Minuten und bestellte ein zweites. Er fand es angenehm, einfach so mit ihr zusammenzusitzen, sich mit ihr zu unterhalten und – wenn auch nur für kurze Zeit – seinen Sorgen zu entfliehen. Sie hatte etwas so Ehrliches und Verletzliches an sich, dass
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