Nur dein Leben
sollte, und fuhr anschließend nach Hause.
Sie musste sich konzentrieren und irgendwie die Nachrichten über Dr. Dettore aus ihren Gedanken verbannen, ebenso wie die Sorge um das Kind, das in ihr heranwuchs und ihre Angst, dass John mit der ekligen Reporterin Sally Kimberly geschlafen hatte.
Und sie musste die Blicke ignorieren, mit denen ihre Kolleginnen und Kollegen sie musterten. Wer von ihnen hatte den Artikel gelesen oder davon gehört? Einige ganz gewiss, aber niemand sprach sie deswegen an, was ihr Unbehagen noch verschlimmerte. Lori war die einzige Freundin, die sich bei ihr meldete. »Was für unglaubliche Nachrichten, Schätzchen!«, verkündete sie mit einer Stimme, die fremd klang. Zwar war sie quirlig wie immer, aber irgendwie ein bisschen zu quirlig, als spiele sie Theater, als versuche sie, ihren Widerwillen zu unterdrücken, aber nicht sehr erfolgreich. »Davon hast du uns ja gar nichts erzählt!«
Naomi hatte das Gefühl, als sei in den letzten beiden Tagen ihr ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt worden. Sie erwartete ein Mädchen und keinen Jungen. Dettore war tot. Fanatiker stießen Drohungen aus. Ihr Porträt prangte auf der Titelseite einer der größten Zeitungen Amerikas. Und sie konnte ihrem Mann nicht länger vertrauen.
Verzweifelt sehnte sie sich nach England, nach ihrer Mutter und ihrer Schwester. John redete zwar immer davon, die Ehe sei eine Wagenburg, die man zum Schutz gegen die Außenwelt bilde, aber er irrte sich. Das eigene Fleisch und Blut war die Wagenburg. Diesen Menschen konnte man vertrauen. Niemandem sonst. Nicht mal dem eigenen Ehemann.
Sie erinnerte sich an ein Gedicht, das sie vor langer Zeit einmal gelesen hatte und in dem es hieß, Zuhause sei der Ort, an dem man einen einlassen müsse, wenn man hineinwolle.
Dort wäre sie jetzt gern gewesen. Zu Hause.
In England.
Ihrem richtigen Zuhause.
»Scheiße!«, fluchte sie und trat heftig auf die Bremse ihres betagten Toyotas. Neben einem Hydranten blieb sie stehen und starrte entsetzt hinüber zu ihrem Haus. Autos, Kleinbusse und Transporter parkten in den baumbestandenen Straßen rechts und links von ihrem Haus. Ein Pulk von Leuten drängte sich auf dem Grasstreifen. Sie schwenkten Kameras und Mikrofone.
Überrascht stellte Naomi fest, dass Johns Volvo bereits im schmalen Carport stand. Es war zwanzig nach sechs. Normalerweise kam er frühestens um kurz vor acht nach Hause. Die Horde der Reporter stürmte auf sie los, als sie in die Einfahrt bog und neben Johns Wagen parkte. Als sie die Tür öffnete, wurde von allen Seiten auf sie eingeschrien.
»Mrs. Klaesson!«
»Hey, Naomi – guck mal hierher!«
»Was für ein Gefühl ist es, mit dem ersten Designerbaby der Welt schwanger zu sein?«
»Wird Dr. Dettores Tod irgendwelche Auswirkungen haben …«
»Was sagen Sie zu Dr. Dettores Tod, Mrs. Klaesson?«
Die Lippen fest aufeinandergepresst, schlängelte sich Naomi durch die Menge und rettete sich auf die Veranda. Als sie das Fliegengitter öffnete, wurde von innen die Haustür aufgerissen. Sie trat ein und John, in Shorts und Trägerhemd, knallte die Tür wieder hinter ihr zu.
»Sieh zu, dass du die loswirst!«, fauchte sie.
»Es tut mir so leid!« Er wollte ihr einen Kuss geben, doch sie wandte sich ruckartig ab, so dass er nur ihre Wange streifte.
Vormittags hatte sich der Himmel aufgeklart und gegen Nachmittag war es richtig heiß geworden. Es war Donnerstag und die Meteorologen hatten für das Wochenende hohe Temperaturen vorhergesagt. John hatte die Klimaanlage eingeschaltet, so dass es wenigstens im Haus angenehm kühl war. Es lief laute, aufwühlende Musik – Mahlers Fünfte. John flüchtete sich gern in Musik, wenn er Sorgen hatte.
»Ignoriere diese Schmeißfliegen einfach«, riet er. »Irgendwann wird denen langweilig, und dann verziehen sie sich von allein wieder. Wir dürfen uns nicht von ihnen drangsalieren lassen.«
»Das ist leicht gesagt, John.«
»Ich mach dir einen Drink.«
»Ich darf keinen Alkohol trinken.«
»Okay, was hättest du denn gerne? Einen Smoothie?«
Irgendetwas in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck, eine jungenhafte Naivität, berührte sie unwillkürlich und erinnerte sie an die vielen Eigenschaften, die sie seit jeher an ihm geliebt hatte. Er konnte sie auf die Palme bringen, aber er konnte sie auch von einem Moment auf den anderen entwaffnen.
Wortlos sahen sie einander an. Ein ratloses Paar. Ein belagertes Paar. Durch Streitereien wurde es kein
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