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Nur dein Leben

Nur dein Leben

Titel: Nur dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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wollte: »Kein Kommentar, tut mir leid, das ist Privatsache.«
    Als sich die Aufzugtüren in der Lobby hinter ihm schlossen, war er im ersten Moment erleichtert. Dann begann er zu zittern.
    Wie viele unserer primitiven Instinkte wir uns doch bewahrt haben, dachte er, als er ziemlich aufgelöst und zehn Minuten zu spät zur Konferenz erschien. Bevor der Mensch sprechen lernte, verließ er sich hauptsächlich auf seine Augen und beobachtete die Körpersprache seiner Artgenossen. Die Körperhaltung, die Art, wie die Leute auf ihren Sitzen herumrutschten, wie sie ihre Arme und Hände hielten und die Augen bewegten, sprach Bände.
    Als er eintrat, schlug ihm eine merkwürdige Atmosphäre entgegen. Die zehn Kollegen, mit denen er in den letzten zweieinhalb Jahren eng zusammengearbeitet hatte und die er ziemlich gut zu kennen glaubte, wirkten heute Morgen seltsam distanziert. Er fühlte sich wie ein Fremder, ein Eindringling.
    John murmelte eine Entschuldigung für seine Verspätung, setzte sich an den Konferenztisch, nahm den BlackBerry aus der Jackentasche und den Laptop aus der Hülle und legte beides vor sich hin. Schweigend warteten seine Kollegen, bis er fertig war. John war wenig nach diesem Meeting zumute; viel lieber hätte er in seinem Büro gesessen und dieser Reporterin die Hölle heißgemacht.
    Sally Kimberly.
    Wow! Ich muss Naomi anrufen und mich mit ihr zum Mittagessen verabreden.
    Er war außer sich vor Wut auf diese Frau.
    Streng vertraulich. Er hatte ihr alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt! Sie hatte kein Recht, auch nur ein Wort von dem zu veröffentlichen, was er ihr anvertraut hatte.
    »Alles okay mit dir, John?«, fragte Saul Haranchek mit seinem nasalen Philadelphia-Dialekt.
    John nickte.
    Neun Augenpaare sahen ihn ungläubig an, aber niemand gab einen Kommentar dazu ab. Man ging zur Tagesordnung über und diskutierte über die aktuellen Forschungs- und Lehrpläne. Schon nach kurzer Zeit kam jedoch, wie so oft in den letzten Monaten, das Thema auf den Tisch, das allen viel mehr am Herzen lag: Wie würde es Ende des nächsten Jahres mit dem Institut im Allgemeinen und mit ihnen im Besonderen weitergehen? Saul Haranchek hatte eine Festanstellung, aber für die Übrigen sah die Zukunft düster aus. Die Ministerien, Institutionen, Stiftungen, Firmen und anderen Universitäten, an die sie sich gewandt hatten, hatten bisher keinerlei Interesse an einem Engagement gezeigt.
    John trug nichts zu der Diskussion bei. Aufgrund der Zeitungsschlagzeile heute Morgen und der Mienen seiner Kollegen war er sich nicht sicher, ob seine Forschungstätigkeit überhaupt noch eine Zukunft hatte.
    Er wusste nicht mal, ob seine Ehe eine hatte.
    Um halb zehn steckte er sein Telefon ein, nahm seinen Computer, griff nach seiner Tasche und stand auf. »Es tut mir leid«, sagte er. »Bitte entschuldigt mich. Ich …« Er eilte aus dem Konferenzraum, ohne seinen Satz zu beenden.
    Er ging den Flur hinunter zu seinem Büro, mit Tränen in den Augen, sperrte die Tür auf, trat ein und schloss die Tür wieder hinter sich.
    Auf seinem Schreibtisch lag ein Stapel Post, und er hatte einunddreißig Nachrichten auf dem Anrufbeantworter.
    Mein Gott.
    Und siebenundfünfzig neue E-Mails.
    Das Telefon klingelte. Es war Naomi. Stinksauer.
    »Ich werde hier mit Anrufen bombardiert! Wirklich eine tolle Idee von deiner neuen Freundin, meine Büronummer weiterzugeben!«
    »Verdammt, Naomi, sie ist nicht meine neue Freundin!«, brüllte er. Sofort überfiel ihn das schlechte Gewissen. Naomi war nicht schuld an dem Schlamassel, sie hatte das keineswegs verdient, er hatte diesen Riesenbockmist gebaut. »Es tut mir leid, Schatz«, sagte er. »Ich …«
    Sie hatte aufgelegt.
    Scheiße.
    Er wählte ihre Nummer, aber es war besetzt.
    Verzweifelt starrte er auf das Telefon, seinen Computerbildschirm und die Wände seines Büros. Auf dem Poststapel, den ihm seine Sekretärin auf den Tisch gelegt hatte, befand sich ziemlich weit oben ein gepolsterter, von Hand adressierter Umschlag, in dem etwas Hartes steckte. Neugierig schlitzte er ihn auf, und zog den Inhalt heraus: zwei Pappdeckel, zusammengehalten von einem Gummiband, die etwas dazwischen schützten.
    Es war das Foto von Naomi, das auf seinem Schreibtisch gefehlt hatte, die Aufnahme von ihr in der Türkei. Das Bild, das heute auf der Titelseite der
USA
Today
prangte.
    In dem Umschlag befand sich außerdem ein zusammengefaltetes Stück Papier. Eine kurze, handschriftliche Notiz, ohne

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