Nur dein Leben
versperrte ihm der Gynäkologe den Weg.
»Bitte, Dr. Klaesson, ich kann Ihre Sorge verstehen, aber Sie müssen hier warten.«
Es war ein Befehl, keine Bitte, nicht verhandelbar, ausgesprochen mit freundlicher Autorität.
»Wo bringen Sie sie hin?«, fragte John. »Was machen Sie mit ihr?«
»Wir führen einen Ultraschall durch und dann sehen wir weiter. Eventuell muss ich einen Bauchschnitt machen und nachsehen, was da drinnen los ist. Es ist wirklich besser, Sie warten hier.«
John nahm sich vor, Naomis Mutter anzurufen und ihr zu erzählen, was los war. Einerseits musste er sie über die Verspätung benachrichtigen, andererseits brauchte er aber auch jemanden, mit dem er seine Verzweiflung teilen konnte.
Eine Stunde später kehrte der Gynäkologe zurück, noch immer im Kittel, die Maske unter dem Kinn, mit todernster Miene. John starrte ihn verängstigt an und wollte aufstehen, doch der Arzt nahm neben ihm Platz.
»Das war knapp.«
John sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Sind Sie Doktor der Medizin, Dr. Klaesson?«
»Nein – ich bin Physiker.«
»Gut. Wir mussten eine Not-Laparotomie durchführen …« Er hob beruhigend die Hand. »Einen kleinen Bauchschnitt, genannt Pfannenstiel-Querschnitt. Es geht ihr gut, und alles ist in Ordnung. Ihre Schmerzen wurden durch eine Zyste im rechten Eierstock verursacht, die sich gedreht und den Blutfluss im Eierstock abgeklemmt hatte, so dass der Eierstock gangränös wurde. Es war eine Dermoidzyste, die sie wahrscheinlich schon ihr ganzes Leben lang hatte, und es überrascht mich, dass sie bei den Ultraschalluntersuchungen nicht entdeckt wurde. Ich weiß nicht, ob Sie beide über die Anomalie Ihrer Frau im Bilde sind?«
»Wie bitte? Welche Anomalie?«
»Sie hat eine doppelte Gebärmutter.«
»Eine doppelte Gebärmutter? Was … Ich meine … Was bedeutet das?« Johns Gedanken überschlugen sich.
Warum hatte ihnen Dr. Dettore nichts davon gesagt, verdammt nochmal? Er musste es gewusst haben. Zwangsläufig – aber dann musste er es ihnen absichtlich verschwiegen haben! Warum hatte Dr. Rosengarten nichts davon gesagt? Die Antwort darauf fiel leicht – weil er bei der Untersuchung in Eile und abgelenkt gewesen war.
»Das kommt relativ häufig vor – eine von fünfhundert Frauen ist davon betroffen, doch bei Ihrer Frau war es nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wie dem auch sei: Ihrer Frau und den Babys geht es gut.«
»Babys? Was soll das heißen, Babys?«
»Sie trägt eines auf der einen und eines auf der anderen Seite.«
Als der Arzt Johns Gesichtsausdruck sah, zögerte er einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Ihre Frau erwartet Zwillinge. Einen Jungen und ein Mädchen. Aber das müssen Sie doch gewusst haben, oder?«
34
Naomis Tagebuch
Zwillinge!
Mum und Harriet sind ganz aus dem Häuschen, ich dagegen noch im Schockzustand. Die Ereignisse haben sich derart überstürzt, dass ich noch nicht weiß, wie ich mich fühlen soll. Zwillinge zu bekommen stellt einen vor besondere Anforderungen. Es gibt eine Website, die einen Woche für Woche durch die Schwangerschaft führt und erklärt, was währenddessen und im ersten Jahr nach der Geburt zu erwarten ist – es wird nicht leicht werden.
Letztes Wochenende hat Harriet eine Zeitung mitgebracht, in der von einer Zwillingsschwemme die Rede war. Im Artikel hieß es, daran seien die Reproduktionsmediziner schuld, die nach einer künstlichen Befruchtung jeweils mehrere Eizellen einpflanzten, um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Ich habe versucht, Harriet zu erklären, dass das in Dr. Dettores Klinik anders funktionierte und es nur eine Eizelle hätte sein dürfen. Aber ich glaube, sie wollte mir gar nicht richtig zuhören.
Ich habe das Gefühl, sie ist ein klein wenig neidisch. Sie ist jetzt zweiunddreißig und unglaublich erfolgreich als Anleihenmaklerin, aber Single. Im Laufe unserer vielen Gespräche der letzten Jahre hat sie immer wieder einmal durchblicken lassen, sie sei nicht so sehr an Kindern interessiert, und vielleicht hofft sie sogar, dass durch die Zwillinge Mums unausgesprochener Druck auf sie, Enkel zu produzieren, ein wenig nachlässt!
Manchmal liege ich nachts wach und denke an Halley, der in seinem kleinen Sarg auf dem schönen Friedhof in der Nähe des Sunset Boulevards liegt. Er ist jetzt ganz allein. Lori bringt ihm einmal die Woche Blumen von uns, aber ich frage mich, ob er jetzt noch einsamer ist, wo wir so weit weggezogen sind?
Die Schwangerschaft
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