Nur dein Leben
mit Halley habe ich größtenteils genossen – bis zur Geburt jedenfalls, die ziemlich höllisch war. Ich fühlte mich gut, aufgeregt, selbstsicher. Doch diesmal empfinde ich nichts von alldem. Ich fühle mich einfach nur schwer und ungeschickt, und mir ist die ganze Zeit schlecht. Außerdem mache ich mir große Sorgen über das, was wirklich in mir vorgeht. John versucht, mich aufzuheitern, aber angenommen, er verheimlicht mir etwas?
Ich habe John immer vertraut. Aber jetzt frage ich mich, ob er und Dettore vielleicht eine heimliche Abmachung hatten. Einmal wirkt er genauso schockiert wie ich, dann wieder regelrecht fasziniert.
Die einzige Person, mit der ich ausführlich darüber geredet habe, ist Rosie, Rosie Miller, jetzt Whitaker. Wir kennen uns, seit wir zehn Jahre alt waren. Sie war seit jeher wesentlich klüger als ich. John wäre wütend, wenn er wüsste, dass ich ihr alles erzählt habe, weil wir uns geschworen haben, niemandem etwas zu verraten. Aber ich muss mit jemandem reden, sonst drehe ich durch! Ich muss sagen, ich war überrascht über ihre Reaktion. Rosie lässt sich normalerweise leicht begeistern, aber ich habe ihrem Gesicht angesehen, dass sie besorgt darüber ist, was wir getan haben.
Warum Zwillinge, Dr. Dettore? Ist Ihnen ein Fehler unterlaufen? Oder haben Sie es absichtlich getan?
Werde ich jemals die Wahrheit erfahren?
35
»UND HIER DAS ELTERNSCHLAFZIMMER, einfach phantastisch! So etwas findet man selten, das kann ich Ihnen sagen«, versicherte Suzie Walker.
Naomi, die hinter ihrer Schwester und ihrer Mutter herschlenderte, folgte der Immobilienmaklerin in einen weitläufigen Raum mit Eichenbalken. Die Mittagssonne fiel durch das nach Süden ausgerichtete Fenster, durch das man über ausgedehnte Weiden auf die sanften Hügel der Downs blickte.
»Die Aussicht muss man erlebt haben, um sie zu glauben«, fuhr Suzie Walker fort. »Sie könnten sich die nächsten dreißig Jahre lang Häuser ansehen und würden keinen Blick wie diesen finden.«
»Ist es hier nicht sehr windig?«, fragte Harriet die Maklerin. »Das Haus steht ziemlich ungeschützt, nicht wahr?« Als Kind hatte Naomi zu ihrer älteren Schwester aufgeblickt. Harriet war hübscher als sie, und heute, mit ihrem jettschwarzen, eleganten Bob und dem Teint einer englischen Rose sah sie attraktiver aus denn je. Sie war gewandt, überaus klug und verstand es, sich zu jeder Gelegenheit passend zu kleiden. Heute trug sie einen glänzenden neuen Barbour-Trench, einen Cornelia-James-Tweedschal und Jeans, die sie in grüne Gummistiefel gesteckt hatte, als hätte sie ihr Leben lang auf dem Land gewohnt, obwohl sie sich in Wirklichkeit selten aus ihrer schützenden Heimat London herauswagte.
Im Gegensatz zu ihr wirkte ihre Mutter Anne noch stets so vom Leben verwirrt wie damals in jener schrecklichen Nacht vor achtzehn Jahren, als sie in Naomis Zimmer gekommen war, um ihr zu erzählen, dass ihr Vater nicht mehr nach Hause kommen würde, weil er im Himmel war. Ihr Gesicht hatte noch immer hübsche Züge, war aber durch die Strapazen ihrer Existenz vorzeitig gealtert. Ihre grauen Haare trug sie in einer altmodischen Frisur, und in dem Maße, wie sich Harriet durch ihre Kleidung den jeweiligen Umständen anzupassen wusste, war ihre Mutter stets ein wenig zu steif, zu förmlich. Heute trug sie einen eleganten schwarzen Mantel und Stadtschuhe. Auf einer Cocktailparty hätte sie nicht deplatziert gewirkt.
»Wenn Sie eine schöne Aussicht wollen, müssen Sie schon ein bisschen Wind in Kauf nehmen«, erwiderte Suzie Walker. »Aber Wind ist etwas Gutes, denn er trocknet das Land. Und natürlich haben Sie auf einer Anhöhe keine Probleme mit Überschwemmungen.«
Naomi liebte das Haus. Erwartungsvoll beobachtete sie ihre Mutter und ihre Schwester in der Hoffnung, dass auch sie es mochten, ja, sie wollte, dass sie es ebenso liebten wie sie. Als ewiges Nesthäkchen hatte sie innerlich noch immer das Bedürfnis nach Bestätigung.
Die Maklerin war klein und zierlich, hatte lange blonde Haare und war hübsch gekleidet. Sie erinnerte Naomi an eine Porzellanpuppe. Nachdem sie im Laufe der vergangenen Woche acht Mietshäuser besichtigt hatte, von denen eines schrecklicher war als das andere, war sie vor drei Tagen verzweifelt in Suzie Walkers winziges Immobilienbüro in der Nähe des verfallenden Schlosses der Kleinstadt Lewes in East Sussex hineinmarschiert und hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen.
Die Maklerin hatte sich verschwörerisch
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