Nur dein Leben
meine. Wir werden euch mehr lieben, als je Eltern ihre Kinder geliebt haben.«
Wieder hob im Schlaf erst Phoebe, dann Luke eine kleine Hand, öffnete und schloss die Finger.
John kehrte zu Naomis Zimmer zurück und blieb an ihrem Bett sitzen, bis sie wach genug war, um sie zu ihren Kindern schieben zu können, damit sie sie ansehen konnte.
39
BERGLUFT IST ANDERS als irgendeine andere Luft auf der Welt. Bergluft ist noch frei von dem Dreck, den man anderswo einatmet.
Alles andere dort unten ist nur eine einzige Kloake, mein Freund, und damit meine ich nicht nur die Luft.
Natürlich ist es nicht immer so gewesen, und eines Tages wird es wieder so sein wie früher. Wir werden durch die Straßen der Städte wandern und Blumenduft einatmen.
Mal ehrlich: Wann hast du zum letzten Mal Blumenduft in der Stadt gerochen?
Vielleicht in einem Park, aber auch nur, wenn er groß war, und die Blumen stark genug dufteten. Und damit sie so stark dufteten, waren sie womöglich genetisch manipuliert worden.
Wir können auch von nichts die Finger lassen, oder? Geh doch bloß mal in den Supermarkt. Die Beeren sind groß wie Äpfel, die Äpfel so groß wie Melonen und die Tomaten – du weißt, welche ich meine – gleichen Mutanten. Schweinegene verleihen ihnen die intensive Farbe und halten auch reife Früchte länger frisch, aber das wird auf dem Etikett nicht vermerkt.
Mein Freund, ich sage dir, wenn du vom Berg hinunter in die Kloake der Täler und Ebenen steigst, betrittst du eine vermeintlich bekannte Welt, doch ich versichere dir, du kennst sie nicht. Zum Beispiel mischt eine bekannte Hamburgerkette Polyester in ihre Brötchen, um sie aufgehen zu lassen – stell dir das mal vor! Sie geben dir Polyester zu essen, und du denkst die ganze Zeit: Hey, Brot, das so aussieht, muss auch gesund sein!
So zynisch sind die Wissenschaftler, mein Freund.
Weißt du, worum es in der Wissenschaft eigentlich geht? Die Wissenschaftler behaupten, es ginge um Wissen, doch in Wahrheit geht es teils um Macht und Tod, hauptsächlich aber um Eitelkeit und Gier. Kein Mensch erfindet etwas zum Wohle der Allgemeinheit, sondern alle streben nur nach persönlichem Profit.
Alle sind fasziniert von der Wissenschaft. Die einflussreichsten Regierungschefs. Sie hoffen, dass die Wissenschaft ein Heilmittel für AIDS findet, obwohl die Krankheit ihren Laboren entstammt. Die Wissenschaft hat die Pest und die Pocken ausgerottet, aber was hat das der Menschheit gebracht? Überbevölkerung!
Der Herr hat seine eigenen Wege, mit Überbevölkerung fertig zu werden. Das natürliche Gleichgewicht war fein ausbalanciert, bis die Wissenschaftler kamen und es zerstörten.
Denke darüber nach, mein Freund, wenn du das nächste Mal einen Spaziergang durch die Kloake unternimmst und spürst, wie sich deine Lungen mit Dreck zusetzen. Wer ist dafür verantwortlich? Gott oder die Wissenschaft?
Erinnere dich an die Worte des Paulus an den Timotheus. »Bewahre, was dir anvertraut ist. Halte dich fern von dem gottlosen Geschwätz und den falschen Lehren der sogenannten ›Erkenntnis‹. Nicht wenige, die sich darauf eingelassen haben, sind vom Weg des Glaubens abgekommen.«
Hier endet der 17 . Traktat der 4 . Ebene des Gesetzes der Apostel des Dritten Jahrtausends.
In einem Haus hoch oben in den Rockies nördlich von Denver saß der junge Apostel auf einem einfachen Holzhocker in einem Zimmer, das so spartanisch wie eine Mönchszelle war, am Computer und lernte jeden Traktat auswendig. Er wiederholte die Worte, die eine Stunde zuvor per E-Mail eingetroffen waren und schon in Kürze wieder gelöscht werden würden, immer wieder im Kopf.
Alles musste auswendig gelernt, nichts durfte niedergeschrieben werden.
Regel Nummer vier.
Er hieß Timon Cort. Seine ingwerblonden Haare waren kurz geschoren. Er trug ein sauberes weißes T-Shirt, graue Chinos, Sandalen und eine Brille mit ovalen Gläsern. Zweimal täglich lief er den drei Kilometer langen unbefestigten Weg, der auf den privaten Berg führte, ohne Pause hinunter und wieder hinauf. Zwei weitere Stunden lang trainierte er seinen Körper mit den ihm vorgegebenen Übungen. Die übrige Zeit des Tages verbrachte er mit Lernen, Bibellektüre und Schlafen.
Er war überglücklich.
Zum ersten Mal seit neunundzwanzig Jahren hatte sein Leben einen Sinn. Er wurde gebraucht. Er war nützlich.
Wenn er am Ende seiner Initiation vom Berg hinuntersteigen würde, würde er den großen Ritus durchlaufen. Anschließend würde er
Weitere Kostenlose Bücher