Nur dein Leben
aufgeschossener Junge.
»Hübsche Kinder«, bemerkte er.
»Danke«, sagte John und blickte stolz erst auf seinen Sohn, dann auf seine Tochter hinunter.
Stirnrunzelnd fuhr der Arzt fort: »Neunzehn Monate alt, stimmt’s?«
»Neunzehneinhalb«, berichtigte John. Er sah Naomi an, die sein Lächeln nervös erwiderte. Stimmt, sie waren hübsch und wuchsen und gediehen mit jedem Tag.
»Ich hätte sie erheblich älter geschätzt«, bemerkte der Psychiater. Dann lehnte er sich nach vorn, verschränkte die Arme und fragte: »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Naomi und John sahen sich an. »Soll ich anfangen?«, fragte Naomi.
»Ja.«
»Also«, begann sie und teilte dem Psychiater ihre Sorgen mit. Während sie über das Babyphon ständig hörten, wie Luke und Phoebe miteinander in Babysprache plauderten und fröhlich zu spielen schienen, verhielten sich die Kinder mucksmäuschenstill, wenn sie das Zimmer betraten, fast als würden sie vorgeben zu schlafen. Sie zeigten kein Interesse, mit anderen Kindern zu spielen oder auch nur Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Und, vielleicht noch besorgniserregender: Mit ihren neunzehneinhalb Monaten sprachen sie noch kein einziges Wort, nicht einmal
Mama
oder
Dada
.
Talbot beruhigte sie. »Bei Zwillingen kommt das häufiger vor. Weil sie so aufeinander fixiert sind, brauchen sie oft wesentlich länger als einzelne Kinder, bis sie Beziehungen zu ihrer Umwelt knüpfen. Zahlreiche Zwillinge fangen erst mit weit über zwei Jahren an zu sprechen. Deswegen brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen, jedenfalls noch nicht zu diesem Zeitpunkt. Wie klappt es mit dem Essen?«
Wieder warfen sich John und Naomi einen beunruhigten Blick zu, da ihnen dieses Thema unangenehm war und sie nicht wussten, inwiefern Dettores Einflüsse eine Rolle spielten. »Sie scheinen sich nicht besonders für Essen zu interessieren«, antwortete Naomi. »Als Babys hatten sie großen Appetit, aber inzwischen scheinen sie nur die Hälfte von dem zu essen, was unser Kinderarzt und die einschlägige Literatur empfehlen.«
Dr. Talbot musterte Luke und Phoebe. »Sie sehen mir aber nicht unterernährt aus. Wenn sie Hunger hätten, würden sie sich schon bemerkbar machen. Und wie steht es mit der Gesundheit?«
»Bisher, dreimal Holz«, antwortete Naomi, »sind sie kerngesund.«
»Keine Erkältungen, nichts!«, fügte John stolz hinzu.
»Ich will das Schicksal ja nicht herausfordern«, schränkte Naomi ein, »aber sie scheinen sehr widerstandsfähig zu sein.«
»Keine Erkältung in neunzehneinhalb Monaten?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Bemerkenswert.«
Dr. Talbot nahm für einige Augenblicke Blickkontakt mit Luke, dann mit Phoebe auf. »Ich erkenne Neugier – wie bei allen Kleinkindern. Sie sehen mich an, versuchen, mich einzuschätzen, versuchen, herauszufinden, wo sie hier sind. Das ist ein ziemlich gesundes Zeichen.«
»Wir haben noch etwas festgestellt, und zwar bei beiden«, sagte John plötzlich. »Sie begeistern sich sehr für Tiere.«
Naomi nickte zustimmend. »Er hat recht. Als wir gestern draußen im Garten waren, ist die Nachbarkatze vom Zaun gesprungen, und beide sind kichernd auf sie zugelaufen. Und letzte Woche hatten wir ein Kaninchen im Garten – das Mistvieh hat meine Rosen gefressen –, und beide fanden den Anblick unglaublich witzig.«
»Vielleicht sollten Sie überlegen, ein Haustier für sie anzuschaffen, wenn sie älter sind, eines, das sie gemeinsam versorgen können. Haustiere helfen, Kindern Verantwortungsbewusstsein beizubringen.«
»Einen Goldfisch vielleicht?«, fragte Naomi.
Talbot verzog das Gesicht. »Goldfische sind hübsch, aber langweilig. Ich empfehle immer etwas zum Streicheln, ein Tier, zu dem die Kinder eine Bindung aufbauen und mit dem sie spielen können, einen Hamster, eine Wüstenrennmaus, einen Hund oder eine Katze – vielleicht eben auch ein Kaninchen.«
»Wir haben überlegt, uns einen Hund zuzulegen«, sagte Naomi.
Der Psychiater nickte. »Ein Hund wäre gut. So, jetzt würde ich mit den beiden gerne ein paar Problemlösungstests durchführen, bei denen es Teilziele zu erreichen gilt. Mal sehen, wie sie damit zurechtkommen. Einverstanden? Dabei würde ich sie gerne einzeln testen, Sie müssten also mit dem anderen so lange rausgehen. Sollen wir sagen, ›Ladies first‹?«
John ging mit Luke hinaus auf den Flur und setzte sich auf einen Stuhl. Naomi sah zu, wie Roland Talbot zuerst zwei Tücher auf den Tisch legte. Er hielt eine Plastikkuh hoch, drückte
Weitere Kostenlose Bücher