Nur dein Leben
klüger als andere Kinder in ihrem Alter. Wir müssen uns einfach daran gewöhnen.«
»Aber warum unterhalten sie sich in dieser Geheimsprache? Das tut man normalerweise nur, wenn man Geheimnisse hat. Warum tun sie es? Sind sie geschädigt – oder noch viel intelligenter, als wir ahnen?«
»Ich weiß es nicht«, gestand er hilflos.
Naomi blickte zu ihm auf. »Wir haben einen Fehler gemacht, stimmt’s?«
»Nein.«
»Ich wünsche mir doch nur … dass wir … du weißt schon … ein normales Leben hätten. Normale Kinder.«
»Normale Kinder wie Halley?«
Lange Zeit sprachen sie kein Wort. John sah wieder das Babyphon an, aus dem kein Laut drang, und griff nach seinem Glas.
»So habe ich es nicht gemeint«, sagte sie. »Das weißt du ganz genau.«
John spießte die Oliven auf und studierte sie nachdenklich, als versuche er sie zu lesen wie Runen.
»Manchmal starren sie mich an«, begann Naomi, »als sei ich ein … ein Nichts. Als sei ich nur eine Art Maschine, die dazu da ist, sie zu füttern und zu bedienen.«
Sie gingen hinauf, und als sie sich der Tür des Kinderzimmers näherten, sagte Naomi: »Ich glaube, sie sollten bald eigene Zimmer bekommen. Das hat uns ja auch Dr. Talbot geraten – sie dabei zu unterstützen, ihre eigene Identität zu finden.«
»Er sagte, wenn sie ein bisschen älter sind.«
»Ich weiß, aber meiner Meinung nach wäre es gut, wenn wir sie jetzt schon trennen würden.«
John legte den Zeigefinger an die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen, und blieb vor der Tür stehen. Er hörte Luke und Phoebe angeregt plaudern und wieder klang es, als würden sie in ihrer Geheimsprache reden.
Er öffnete die Tür und sofort schwiegen sie.
»Hi, Luke, hi, Phoebe!«, begrüßte er sie.
Beide starrten ihn vom Boden aus an, wo sie mit Holzbauklötzen gespielt hatten. Luke trug ein gestreiftes Sweatshirt, eine weite Jeans und Turnschuhe. Eine Locke fiel ihm in die Stirn. Phoebe trug einen Trainingsanzug und war barfuß. Ihre Haare waren ordentlich gekämmt. Mit ihren blauen Augen waren beide das Abbild tiefster, süßester Unschuld. John sah Naomi an, die, ebenso wie er, voller Erstaunen das komplizierte, geometrisch perfekte Mandelbrot-Muster anstarrte, das die Zwillinge wie einen Miniatur-Getreidekreis auf dem Boden gelegt hatten.
»Ebohph eklih«, sagte John und blickte abwechselnd Luke und Phoebe an. Keine Reaktion.
»Hübsches Muster!«, lobte Naomi.
John eilte rasch ins Schlafzimmer und holte seine Kamera.
»Badezeit!«, verkündete Naomi munter.
John fotografierte die Kinder und ihre Kreation. »Das ist wunderschön, Luke. Wunderschön, Phoebe. Habt ihr das zusammen gelegt?«
Beide sahen ihn weiterhin schweigend an. Dann lachten sie plötzlich wie verabredet auf und lächelten ihre Eltern an. Das kam selten vor, und ihr Lächeln war ausschließlich Vater und Mutter vorbehalten, niemandem sonst.
»Sehr hübsch!«, wiederholte Naomi. »Wie klug ihr beide seid!« Sie sah John an, als suche sie nach einer Erklärung, doch er konnte ihr keine bieten. »Mami lässt jetzt euer Badewasser ein.«
Sie verließ das Zimmer. John blieb und machte noch einige Aufnahmen. Beide Kinder blieben reglos sitzen und starrten ihn an.
Er schob die Kamera in seine Hosentasche, kniete sich hin, nahm Phoebe auf den Arm und küsste sie. »Kluges Mädchen!«
»Tie eda«, sagte sie lächelnd.
»Tie eda«, erwiderte er sanft, trug sie ins Badezimmer und reichte sie an Naomi weiter. Dann ging er Luke holen, der noch immer das Bauklötzchenmuster auf dem Boden ansah, als sei er tief in Gedanken versunken.
»Hast du das entworfen, Luke, oder deine Schwester?«
Luke zeigte auf sich und lächelte.
John nahm ihn auf den Arm und küsste ihn auf die Stirn. Dann sah er seinem Sohn in die großen blauen Augen. »Das ist wirklich toll, weißt du das? Richtig toll!«
Luke verzog das Gesicht zu einem Lächeln, und für einen Augenblick spürte John eine heftige Glücksexplosion in seinem Inneren. Er umarmte ihn fest und sagte: »Du bist ja so ein kluger Junge! Mummy und Daddy sind stolz auf dich! Ganz stolz!«
Als John ihn ins Badezimmer trug, sah er, wie Naomi mit aufgerollten Ärmeln die Temperatur des Badewassers prüfte. Phoebe saß halb ausgezogen auf dem Boden und beobachtete sie. John zog Luke aus, wartete, bis Naomi zufrieden mit der Wassertemperatur war und setzte seinen Sohn dann sanft in die Wanne. Luke planschte vergnügt, strahlte und versuchte, die gelbe Badeente und das kleine Boot zu
Weitere Kostenlose Bücher