Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Plätzen“, sagte Anne-Sophie mit erstaunlicher Ruhe, “aber ich war es nicht. Ich bin nicht wahnsinnig oder unvernünftig genug, eine solche Tat zu begehen.“ Sie sah Ken Bernstein so eindringlich dabei an, als ob sie ihm ihre Worte einimpfen könnte. Ken Bernstein nickte.
„Ich bin eine Kämpfernatur“, fuhr Anne-Sophie fort, „ich kämpfe für Ideen, für Gerechtigkeit und auch für Geld, wenn ich glaube, dass es mir zusteht. Aber ich würde immer nur mit Worten kämpfen. Worte sind meine Waffe.“
„Ich bin nur hier, um Sie zu bitten, mir zu helfen, den Fall aufzuklären“, Ken Bernstein legte beschwichtigend seine Hand auf Anne-Sophies Arm. „Ich habe noch keinerlei Hinweise, um auch nur irgendeine Person ernsthaft zu verdächtigen. Mr. Kaybody wird mich heute Abend wieder löchern und ich werde ihm sagen müssen, dass ich nichts weiß.“
„Mag sein“, sagte Anne-Sophie knapp, dann blickte sie Ken Bernstein wieder mit hypnotisierenden Augen an. „Ich habe nachgedacht, nicht nur über den Verlauf der Dinge, sondern vor allem über Menschen, alle Beteiligten in diesem Fall. Fangen wir mit dem Opfer an, das ich ganz unpietätisch beschreiben möchte. Piet Drachmann war nicht nur der Bürokrat und loyale Smith, Henderson Mann, seine Manie alles zu kontrollieren, konnte einen ärgern oder auf den Geist gehen. Viel schlimmer jedoch waren seine Intrigen, seine listige, feige Art. Der Mann hatte kein Rückgrat, er war eine Marionette in Harry Millers Händen. Und“, Anne-Sophie legte eine dramaturgische Pause ein „seine Loyalität basierte nicht auf Überzeugung, dem richtigen Herren zu dienen, sondern auf Verliebtheit. Piet Drachmann war in Harry Miller verliebt. Hoffnungslos verliebt. Da war kein Verhältnis, verstehen Sie mich nicht falsch. Es war die stumme, verzweifelt Liebe eines andersartig veranlagten Mannes, dem es genügte, oder genügen musste, das geliebte Wesen zu sprechen und zu sehen. Er war viel zu feige, seine Triebe auszuleben, deshalb klammerte er sich an seine Arbeit, nervte und unterdrückte andere mit seinem Arbeitswahn. Sie sollten mal seinen früheren Assistenten befragen, der arme Kerl hatte am meisten unter Drachmann zu leiden gehabt. Piet Drachmanns hysterische Ausbrüche würde ich als Zeichen seiner Triebunterdrückung werten. Ab 15 Uhr 30 konnte man mit ihm kein vernünftiges Wort mehr reden. Und wissen sie warum, weil New York, sprich Harry Miller, anrufen könnte. Wie ein aufgescheuchtes Huhn raste er durch die Gänge, um an seinen Platz zukommen, wenn ein Anruf aus Amerika gemeldet wurde. Sein Getue bei allem, was mit Amerika zusammenhing, war die hysterische Reaktion eines nach Liebe dürstenden Mannes, dem die Entspannung versagt blieb. Das ist menschlich sehr tragisch, und hätte er damit nicht die ganze Luft in der Agentur verpestet, hätte ich tiefes Mitleid empfunden. Sein hysterischer Anfall, als wir die fünfzigprozentige Gehaltskürzung ablehnten und Ted Ambers, ja sogar Paul Katz sie nicht mehr unterstützten, war irrenhausreif.“
„Die Vermutung, dass er eine homosexuelle Neigung hatte, ist mir längst gekommen“, sagte Ken Bernstein. „Wer hat eigentlich das Empfangsfaktotum, ich meine Jean-Stephane, eingestellt?“
„Pina“, erwiderte Anne-Sophie knapp. „Das war wohl eine ihrer kleinen Aufmerksamkeiten an den Chef. Oder ihre Art von Humor.“
Ken Bernstein schlug sich auf die Schenkel und lachte herzlich, er mochte alles, was aus der Reihe fiel. Pina wurde ihm plötzlich sympathisch.
„Wie ich schon sagte, Piet Drachmann hat seine Homosexualität nicht ausgelebt, nicht mal mit dem kleinen, liebenswerten Jean-Stephane. Die Tragik hier jedoch war, dass Harry Miller nicht homosexuell war.“
Ken Bernstein nickte im Einverständnis. „Wie sehen Sie Harry Miller?“
Anne-Sophies Stirn entwickelte einen Wellenberg von Falten auf ihrer Stirn. Sie begann zögernd zu sprechen: „Mr. Millers gefährlichste Waffe ist sein Charme. Man fällt unweigerlich darauf rein und ahnt nicht im Geringsten, dass er in nächster Minute den Dolch zur Hand hat, wenn es ihm opportun erscheint.“
„Er hat eine Spitzenposition, gehört dazu nicht der Dolch, wie bei Polizisten die Pistole.“
„Ihr Amerikaner habt eine eigenartige Auffassung, Geschäfte zu machen“, sagte Anne-Sophie mit weiterhin gefurchter Stirn. „Bei Polizisten sieht man wenigsten, die Ausbuchtung unter der Jacke, oder erahnt sie, bei Harry Millers Charme jedoch vermutet man nichts
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