Nur dieser eine Sommer
unverzüglich zu ihr hinfahren.“
Palmer guckte auf seine Schuhe hinunter. „Sie braucht mich nicht!“
„Aber natürlich tut sie das! Heute mehr denn je!“
„Sie hat doch dich! Du warst immer ihr Liebling.“
„Ihr Liebling, das warst du!“
Seine Lippen verzogen sich hämisch. „Wie kommst du denn darauf?“ fragte er, schon fast hasserfüllt. „Dann, mein Schatz, hast du wirklich keinen Schimmer!“ Er wandte sich ab und hielt die Haustür weit auf. „Kehr zurück zu ihr und zu eurem verdammten Strandhaus. Und lasst mich bloß in Ruhe!“
Am folgenden Tag lieferte ein Bote einen riesigen Blumenstrauß ab. Auf der beiliegenden Grußkarte stand „Gute Besserung! Wir lieben dich. Palmer und Julia.“ Cara hielt den Strauß weit von sich und hätte ihn am liebsten auf den Komposthaufen gefeuert. Das also war Palmers Antwort? Ein herzloses Geschenk? Lovie durchschaute diese Geste mit Sicherheit und würde bestimmt am Boden zerstört sein.
Schließlich brachte Cara das Bukett pflichtbewusst in die Küche, füllte etwas Wasser und Flüssigdünger in die mitgelieferte billige Glasvase und trug dann alles, das Gesicht maskenhaft fröhlich, zu Lovie hinein. „Guck mal, was Palmer dir geschickt hat!“ rief sie mit aufgesetzter Begeisterung.
„Von Palmer sind die?“ fragte Lovie mit leuchtenden Augen und setzte sich im Bett auf. Die Anstrengung löste den nächsten Hustenanfall aus, aber sie streckte doch die Hände nach dem Strauß aus. „Oh, sind die schön! Nein, nein!“ Sie wurde fast etwas böse, als Cara die Blumen wieder mitnehmen wollte. „Stell sie hierhin!“ Sie zeigte auf den Nachttisch. „Damit ich an ihnen riechen kann!“
Mit verkniffenem Mund kam Cara dem Wunsch ihrer Mutter nach.
„Ist er nicht ein herzensguter Junge? Cara, hol mir doch bitte meine Grußkarten. Ich möchte mich bedanken.“ Sie beugte sich über den Strauß und atmete den Duft der Blüten ein. „Hat er also doch an mich gedacht! Ob er mich wohl bald besucht?“
Als Cara aus Lovies Zimmer trat, sah sie, wie Toy mit Inbrunst auf die Sofakissen einschlug.
„Hoppla“, sagte Cara und begab sich quer durchs Wohnzimmer zu dem kleinen Sekretär. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“
„Ich habe alles mit angehört! Unglaublich, wie Miss Lovie ihren Sohn in den Himmel hebt! Das macht mich rasend! Ist es ihr denn egal, dass er hier nicht auftaucht? Der eigene Sohn? Blumen schicken, das kann doch jeder! Lachhaft!“
„Ich nehme an, sie verdrängt das alles. Es tut ihr zu weh, die Wahrheit anzuerkennen. Also lasse ich sie gewähren. Sie quält sich augenblicklich schon mehr als genug.“
„Und Sie? Sind Sie denn nicht stinksauer auf ihn?“
Um ein Haar hätte Cara ihr brühwarm von dem Streit am Vortag berichtet, besann sich allerdings eines Besseren. „Ich kann mir nicht leisten, zusätzlich Energie oder Zeit an Streitereien zu verschwenden. Außerdem bin ich zu müde.“
„Also, ich wäre geladen! Sie lobt ihn über den grünen Klee, und dabei hockt er bloß auf dem Hintern, während Sie die ganze Arbeit am Halse haben!“
Cara zog die Schublade heraus, in der ihre Mutter die Schachtel mit Grußkarten aufbewahrte, gedruckt auf eisblauem Papier und mit Monogramm versehen. Cara zeichnete mit dem Finger die elegant verschnörkelten Lettern nach, und sie erinnerte sich daran, wie Lovie stets unnachgiebig darauf bestanden hatte, dass man sich unverzüglich mit einer solchen Karte für ein Geschenk oder eine Aufmerksamkeit bedankte. Und jetzt konnte sie es natürlich gar nicht abwarten, Palmer ein solches Schreiben zu senden. Wie wollte er da noch abstreiten, dass er ihr Liebling war?
Ich selbst, so vermutete Cara, werde wohl nie für all das, was ich nun für Mama tue, ein solch formelles Dankeschön erhalten. Andererseits: Wie bedankt man sich bei einer, die immer die Aufpasserin spielen muss, die einen ständig dazu anhält, auch genügend zu trinken, die schimpft, wenn man nicht essen oder seine Medikamente nicht nehmen will, die unbarmherzig die ärztlichen Anweisungen durchsetzt, obwohl man nichts anderes als seine Ruhe haben möchte? Tief im Herzen wusste Cara, dass ihre Mutter ihr dankbar war und sich auf sie verließ. Auf ein Stück Papier als Anerkennung für die Mühe konnte sie getrost verzichten.
Doch dass ihrem Bruder für seinen armseligen Beitrag derartige Lobeshymnen gesungen wurden, war schlichtweg nicht einzusehen und tat weh. Immer hatte Mama die Männer in ihrem Leben
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