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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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dem Foto?“
    „Ja. In jenem Sommer traf er auf der Insel ein, um das Verhalten der Loggerheads zu erforschen. Russell war Naturwissenschaftler. Erkümmerte sich auch sehr um die Belange seiner Familie, doch was ihm am meisten am Herzen lag, das war das Studium der Natur – draußen an der frischen Luft. Brett ähnelt ihm stark. Nicht so sehr, was das Äußere betrifft. Russell war zwar auch groß, doch schlaksig und blond. Nein, Brett hat einen ähnlichen Charakter wie Russell: Er war tatkräftig, aber dennoch zurückhaltend und umsichtig. Und naturverbunden. Das wirkte auf mich sehr … anziehend. Unser Interesse für Meeresschildkröten führte uns schließlich zusammen. Damals war ich die Einzige auf der Insel, die sich bewusst mit den Loggerheads beschäftigte, so amateurhaft das auch gewesen sein mag. Ich las alles, was mir zwischen die Finger kam: Fachartikel, Dr. Archie Carrs Buch
The Windward Road
, alles. In der Rückschau betrachtet, habe ich mich recht ordentlich geschlagen. Es sprach sich herum, dass ich mich für die Schildkröten einsetzte, und deshalb suchte Russell mich auf. Als er sich meine Aufzeichnungen anschaute, wirkte er sichtlich beeindruckt. Und ehrlich, Cara, zum ersten Mal war ich stolz auf etwas, was ich völlig allein zu Wege gebracht hatte.“
    Sie strahlte. „In jenem Sommer begann unsere Zusammenarbeit. Ich lernte von ihm viel über Meeresschildkröten. Er zeigte mir, wie man den Tieren helfen kann. Er hat mir noch bedeutend mehr beigebracht …“ Als wolle sie etwas besonders betonen, hob sie die Hände, um sie dann jedoch mit kraftlosem Seufzen in den Schoß sinken zu lassen. „Nein, nein, Cara“, fuhr sie kopfschüttelnd fort. „Darum geht es mir ja gar nicht! Die Schildkröten sind nicht das Thema! Immer noch schweife ich zu sehr ab. Dabei will ich doch vollkommen offen zu dir sein. Ich muss es sein, wenn die volle Wahrheit ans Licht soll!“
    Sie bemerkte die Beklemmung in Caras Blick, zögerte unschlüssig und wusste nicht recht, wie sie fortfahren sollte. Sie schloss die Augen und stellte sich Russells liebevolles Gesicht vor. Dort drinnen, tief in ihrem Herzen, wo die Liebe zu ihm wohnte, dort fand sie das, was sie ihrer Tochter wirklich sagen wollte. Und als sie die Augen wieder öffnete, nahm sie allen Mut zusammen und setzte ihren Bericht fort, eindringlicher als zuvor.
    „Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn man jemanden kennen lernt und auf den ersten Blick, ohne den Hauch eines Zweifels, erkennt: Dieser Mensch ist mit dir seelenverwandt? Genau so war’s bei Russell und mir. Wir befanden uns mit einer Gruppe am Strand; ich sehe es noch vor mir, als wär’s erst gestern gewesen. Alle standen um ihn herum und lauschten seinem Vortrag über die Karettschildkröten. Es war ein heißer Tag, die Sonne strahlte, und ich schirmte meine Augen mit der Hand gegen das gleißende Licht ab. Durch die Bewegung wurde er auf mich aufmerksam. Unsere Blicke trafen sich; ich guckte in seine graublauen Augen, und für einen Moment kam es mir vor, als wären wir allein am Strand, ja auf der Welt sogar. Ich erinnere mich sogar noch, was mir durch den Kopf schoss:
Nein! Lieber Gott, nicht! Bitte!
Denn in diesem Augenblick war mir klar, dass ich ihn liebte, wie ich nie zuvor und nie wieder danach einen Mann geliebt hatte. Wir verhielten uns beide so angestrengt förmlich, dass es an Komik grenzte. Mehrere Wochen lang traf ich mich, streng wissenschaftlich natürlich, täglich im Morgengrauen mit ihm am Strand, brachte Kaffee in der Thermoskanne mit und genoss mit ihm den Sonnenaufgang. Danach schwangen wir uns auf unsere Räder und radelten rund um die Insel herum, stets auf der Suche nach Schildkrötenspuren. Jeder mit ihm verbrachte Moment kam wir wie ein Geschenk vor. Wie gebannt hing ich an seinen Lippen. Ach, was gaben wir uns zunächst für Mühe, uns nicht zu zeigen, was wir füreinander empfanden!“ Sie lachte leise in sich hinein. „Es gelang uns auch einigermaßen, bis es mit den Nachtwachen an den Gelegen losging. Dann aber …“ Sie seufzte. „Plötzlich, Cara, waren wir hoffnungslos verliebt! Wir wurden ein Liebespaar. Schockiert dich das? Es ist sonderbar, wenn die Mutter so etwas der Tochter gesteht! Doch es war passiert – und nicht mehr rückgängig zu machen. Fast jeden Abend trafen wir uns auf den Dünen, drüben auf der anderen Straßenseite, auf dem Gelände, auf das Palmer so scharf ist. Du entsinnst dich doch noch, wie die Landschaft vor dem Bau der Straße

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