Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
sein, und vielleicht hat sie an der Wesleyan gearbeitet.Vielleicht haben wir den Ort entdeckt, an dem sich ein paar Antworten verbergen.«
CAROLINE
822 Lima Street, Juli 1979
D ie Berührung von Bartons Lippen auf Carolines Wange fühlte sich so flüchtig und leicht an, als würde ein Engelsflügel sie streifen. »Oh, Caro«, sagte er. »Es tut mir leid.«
Barton war mit Caroline durch den Park spaziert, zurück zum Haus in der Lima Street. Er hatte registriert, dass ihr Gesicht nass war von Tränen, ohne dass sie selbst es bemerkt hätte.
»Hin und wieder passiert es mir.« Caroline reagierte verlegen. »Dann laufen die Tränen einfach aus mir heraus, ohne dass ich es merke. Manchmal müssen die Mädchen mir sagen … ›Du bist schon wieder nass, Mommy‹.«
»Ich bin Priester. Und ich bin dein Freund. Und ich bin völlig nutzlos für dich.« Barton entfernte sich einige Schritte, stieß einen frustrierten Seufzer aus und kehrte zu ihr zurück. »Ich möchte so gern etwas tun, damit deine Schmerzen aufhören. Aber ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was kann ich bloß tun, Caro? Bitte. Sag mir, wie ich dir helfen kann.«
Bartons Augen waren schön, von wechselnder Farbe. Manchmal wirkten sie grün, mit tiefen goldbraunen Sprenkeln. Zu anderen Zeiten zog sich das Grün zurück und machte einem glänzenden Goldton Platz. Im Augenblick zeigten sie Caroline die Reinheit, mit der Barton sie liebte.
Plötzlich verspürte sie den Impuls, ihm die Wahrheit über Justin zu erzählen. Die Versuchung, ihre Last loszuwerden und Vergebung zu erfahren, war stark und süß; und einen Augenblick lang erschien es ihr möglich. Doch noch während Caroline nach den Worten für ihre Beichte suchte, erkannte sie, wie unschuldig und durch und durch gut Barton war. Sie beschloss, seine Seele nicht durch das Wissen um die widerwärtige Angelegenheit zu verunreinigen, die ihre eigene Seele beschmutzte.
Und abgesehen davon, dass sie Barton schützen wollte, schützte sie auch sich selbst. Die Wahrheit zu sagen, würde ans Tageslicht bringen, dass sie nicht in der Lage gewesen war, ein unverzeihliches Verbrechen gegen ihr eigenes Kind zu verhindern. Der Gedanke, dass Barton davon erfuhr, war unerträglich. Sie brauchte es, dass er sie so sah, wie er es immer getan hatte - als seine »Caro« - einen liebenswerten und guten Menschen. Und einen unschuldigen.
Um ihre Tränen zu erklären, sagte sie: »Vor drei Jahren wurde mir mein kleiner Junge genommen, Barton. Er ist fort, und ich kann ihn nie wieder zurückbekommen. Und dieser Schmerz ist so stark, dass ich kaum weiß, wie ich atmen soll.«
Julie und Lissa waren ihnen auf dem Kiesweg ein Stück voraus und liefen gerade auf das eiserne Tor am Parkeingang zu. Sie waren fast elf, und die kindliche Rundlichkeit begann einem schnellen Wachstum in die Länge zu weichen, ein frühes Zeichen der beginnenden Pubertät. Im Augenblick allerdings waren sie noch kleine Mädchen, deren Haare seidig über ihre Rücken fielen, während sie auf ihr Zuhause zuliefen.
»Schau«, flüsterte Caroline. »Schau, wie stark und glücklich sie sind.« Angesichts der Freude ihrer Kinder verlor Carolines
Schmerz ein wenig von seiner Schärfe. Er machte sich klein und war still; blieb eine Weile in seinem Versteck.
Doch indem sie ihren Schmerz versteckte, war es Caroline nicht gelungen, ihn loszuwerden. Sie hatte nur Dunkelheit über ihn gebreitet. Jeder Gedanke an die Dinge, die sie getan hatte, peinigte sie noch immer; und vor allem jeder Gedanke an das, was sie nicht hatte tun können.
Doch Caroline brachte es einfach nicht fertig, Barton zu erzählen, was in den Tagen und Wochen nach Justins Beerdigung passiert war.Als sie erfahren hatte, dass Justin nicht in Nevada gestorben war; dass er ihr weggenommen und in die Kälte Neuenglands gebracht worden war.
Caroline war damals in einem Sumpf aus Beruhigungsmitteln und Schmerz beinahe ertrunken, unfähig, logisch zu denken oder rational zu handeln.
Mit der Rage einer Verrückten war sie durchs Haus getobt, hatte Fotoalben aufgespürt und Bilder von Justin herausgerissen. Mit Justins kleinem Stoffhasen war sie in den Vorgarten gerannt und hatte herausfordernd vor einer Polaroidkamera posiert, um ihre Pein zu dokumentieren. Sie hatte sich einen Spiralblock geschnappt und fieberhaft die herausgerissenen Fotos auf dessen Seiten geklebt. Zwischen die letzte Seite und die rückwärtige Pappe hatte sie Justins Geburtsurkunde geklemmt. Und dann hatte sie geweint.
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