Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
anders, als Freundinnen zu werden.«
Die Berührung durch Lilys Kuss und der Klang des Wortes »Freundinnen« hatten einen berauschenden Effekt auf Carolines Stimmung. So beiläufig beides geschehen war, so verzaubernd war die Wirkung auf Caroline.
In der Wurzellosigkeit, die Carolines Heranwachsen geprägt hatte, war sie nie lange genug an einem Ort geblieben, um sich einen Platz in der Gemeinschaft anderer Mädchen zu sichern. Immer war sie »die Neue« gewesen, die entweder später ins Schuljahr eingestiegen war oder es vorzeitig beendet hatte.Auf diese Weise hatte sie kaum eine Chance gehabt, enge Freundschaften zu schließen. Und sicherlich nicht mit jemandem, der so entzückend und kultiviert war wie Lily.
»Auf dem Rückweg vom Lake Arrowhead gab es diesen Gemüsestand direkt an der Straße … Körbeweise wunderschöne Tomaten. Ich konnte einfach nicht widerstehen«, erklärte Lily. »Aber wahrscheinlich habe ich viel zu viele gekauft. Ich weiß gar nicht, was wir mit den ganzen Tomaten anfangen sollen.«
Caroline war bereits dabei, sie auf einen großen Haufen
zu stapeln. Sie fühlte sich auf wundersame Weise gelöst und glücklich. »Wir machen Spaghettisauce«, sagte sie.
Dann öffneten Caroline und Lily eine Flasche mit kühlem, prickelndem Cidre, füllten sich gegenseitig mehrmals die Gläser und erzählten sich lustige Geschichten. Dabei bereiteten sie aus den Gaben des Sommers ein Festmahl für die Menschen, die sie liebten.
Die Zeit, in der sie gemeinsam mit Lily kochte, hatte Caroline ein derartiges Vergnügen bereitet und sie so komplett abgelenkt, dass sie vergessen hatte, sich vor der Küchenarbeit eine Schürze umzubinden. Jetzt, oben in ihrem Schlafzimmer, zog sie ihr mit Saucenspritzern gesprenkeltes Hemd und die Shorts aus, um vor dem Abendessen noch zu duschen.
Durchs offene Schlafzimmerfenster hörte Caroline die Geräusche eines lärmenden Fangen-Spiels unten auf dem Rasen - wildes Gelächter von Lissa und Julie und fröhliches Gejohle von Barton und Robert. Julies Stimme war laut und triumphierend: »Du bist raus, Onkel Barton!« Darauf folgte ein Kommando von Lissa: »Jetzt müssen wir Daddy fangen! Daddy ist dran!«
Caroline trat ans Fenster. Sie betrachtete die Eiche, den Rasen, und Robert, der hin und her sauste; Julie und Lissa, die ihm folgten; Barton, der sie anfeuerte. Robert bewegte sich schnell genug, um das Spiel für die Mädchen spannend zu halten, aber nie schnell genug, um ihre Jagd aussichtslos zu machen. Er tat das, was er immer tat, wenn er und die Mädchen zusammen spielten. Er sah zu, dass sie gewannen.
Barton entdeckte Caroline am Fenster. »Caro, komm runter. Robert und ich werden fertiggemacht. Wir brauchen Unterstützung.«
Ehe Caroline antworten konnte, hörte sie Julie rufen: »Mommy spielt nicht mehr mit uns. Nur noch Daddy.«
Schnell trat Caroline vom Fenster zurück. Die Leichtigkeit, die sie in der Küche mit Lily gespürt hatte, verschwand und wurde durch das Gewicht all der schlechten Dinge in der Lima Street ersetzt. Plötzlich fühlte sie sich zerrissen und ausgebrannt. Sie ging in Roberts neuesten Anbau ans Haus, ein großes Badezimmer, das nun direkt ans Schlafzimmer grenzte. Dort suchte sie nach Schmerztabletten. Doch sie fand keine. Sie hatte bereits alle geschluckt.
Der Schmerz, den Caroline betäuben wollte, wurzelte in den Wunden, die es geschlagen hatte, in einer Welt heranzuwachsen, in der die Schwangerschaft einer Unverheirateten einen Skandal bedeutete. Inzwischen war ihr klar, dass ihr diese beschränkte Welt eine machtlose Position zugewiesen hatte, in der sie einen Ehering anstelle eines College-Abschlusses bekommen hatte; in der sie niemals in ihrem Leben einen Job gehabt hatte; in der sie, falls sie ihren Mann verließe und die Kinder mitnähme, nicht in der Lage sein würde, ihnen ein anständiges Zuhause zu bieten. Caroline hatte ihren 30. Geburtstag hinter sich und konnte außerhalb der vier Wände in der Lima Street nicht überleben - außerhalb dieser vier Wände, die gleichzeitig schützende Festung wie Gefängnis für sie waren.
Sie kehrte zurück ins Schlafzimmer und blieb in der Nähe des Fensters. Sie sah, wie Lissa vorübergehend ihre Jagd auf Robert unterbrach und über den Rasen zu Barton rannte. Sie blieb unmittelbar vor ihm stehen, und Caroline hörte sie sagen: »Es ist nicht immer Daddy, mit dem wir spielen. Manchmal haben wir auch Spaß mit Mommy … bloß nie mit Mommy und Daddy zusammen.« Lissas Worte
Weitere Kostenlose Bücher