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Nur ein Augenblick des Gluecks Roman

Titel: Nur ein Augenblick des Gluecks Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dianne Dixon
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sie ihn aussprechen konnte - erstickt von einer unausweichlichen Wahrheit. Es war eine Wahrheit, die sich in dem Augenblick gleichsam in Caroline hineingebohrt hatte, in dem sie erfahren hatte, dass Robert Justin genommen und ihn weggegeben hatte. Sofort hatte sie die schreckliche Symmetrie erkannt: Justin war einer Mutter gestohlen worden, die, schon vom Moment seiner Zeugung an, eine Diebin gewesen war.
    Als Erstes hatte sie ihre Ehe bestohlen, hatte sie der Aufrichtigkeit und Treue beraubt. Nach Justins Geburt dann waren die Ausmaße ihres Diebstahls geradezu grotesk geworden. Indem sie ihr Kind mit ihren eigenen komplizierten Geheimnissen umgeben und ihn in der Lima Street versteckt hatte, hatte sie seinem Vater einen Sohn geraubt.
    Das Gewicht ihrer Mitverantwortung für das, was Justin zugestoßen war, traf sie in diesem Moment mit schmerzlicher Wucht. Sie erreichte gerade die Straßenecke und damit den Briefkasten. Jenen Briefkasten, in den sie vor all den Jahren das Spiralbuch und die Fotos geworfen hatte: die Beweisstücke für das Leben, aus dem Justin gerissen worden war, und den Beweis für ihren verzweifelten Wunsch, ihn zurückzubekommen.
    Von Valium und Verlustgefühlen betäubt war sie zu diesem Briefkasten getaumelt, hatte das ungeschickt eingewickelte Päckchen eingeworfen und um das Wunder der Rückkehr ihres Sohnes gebetet. In einer kleinen Ecke ihres Herzens allerdings ahnte sie, dass dieses Gebet vielleicht besser unerhört bleiben würde. Justin verdiente ein besseres Leben, etwas Besseres, als von einer geschiedenen Mutter aufgezogen zu werden, die ihm nur eine haltlose, unsichere Existenz ohne Kontinuität und Sicherheit bieten konnte.

    So hatte Caroline unmittelbar nach Justins Verschwinden gedacht, und dieselben Gedanken quälten sie noch heute. Als sie aber um die Ecke in die Lima Street bog, hob sich ihre Laune.Am Bordstein vor ihrem Haus parkte ein großer Geländewagen. An der Stoßstange verkündete ein Sticker: »Familie zuerst«, und ein weiterer Aufkleber im Rückfenster zeigte fünf lächelnde Figuren - einen Vater, eine Mutter und drei Jungen absteigender Größe. Unter den Figuren standen Namen: Harrison, Lissa, Graham, Fletcher und Ethan. Sofort beschleunigte Caroline ihre Schritte.
    Als sie die Stufen zur Veranda hinaufstieg, kam Ethan auf sie zugerannt, um sie zu begrüßen. »Gramma, wo warst du?« Er klang freudig und atemlos. »Wir haben gewartet und gewartet.«
    »Ich war in der Kirche«, erwiderte Caroline. Sie hob ihn hoch und trug ihn ins Haus. Seine Haut roch warm und staubig, so wie ein Welpe riecht, wenn er sich auf dem Rasen in der Sonne gewälzt hat.
    »Aber die Kirche ist schon lange aus. Du hättest längst hier sein müssen.« Sein Gesichtsausdruck verriet, dass ihre Geschichte seiner Ansicht nach, der Ansicht eines Vierjährigen, der selber gerade aus der Kirche gekommen war, nicht ganz glaubwürdig war. Ehe Caroline erwidern konnte, dass sie nicht dieselbe Kirche besucht hatte wie er, kam Lissa ihr aus der Küche entgegen. Frisch erblondet und grazil. In einer schmal geschnittenen, perfekt sitzenden Hose und einer dazupassenden Jacke in taubengrau.
    Sie eilte auf Caroline zu und nahm ihr Ethan aus dem Arm. »Was machst du da, Ethan? Du bist zu schwer, um dich von Gramma tragen zu lassen.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Caroline. Doch Lissa setzte Ethan bereits auf ihre eigene schlanke Hüfte; sie ging mit
ihm um, als wöge er nicht mehr als ein leerer Wäschekorb. Caroline fragte sich, ob Lissa bewusst war, wie selbstgefällig sie wirkte und wie bevormundet Caroline sich fühlte; wie erniedrigend es war, willkürlich auf den Status einer gebrechlichen und uralten Frau reduziert zu werden.
    Lissa war bereits auf dem Weg zurück in die Küche. Über die Schulter hinweg rief sie: »Wo bist du gewesen? Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«
    »Ich war in der Kirche«, sagte Caroline. »In einer neuen Kirche. Bei den Methodisten.« Sie machte keine Anstalten, Lissa zu folgen. Sie wollte sich nicht unterkriegen lassen und ihrer Tochter hinterherlaufen. Stattdessen ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich hin; es ärgerte sie, dass scheinbar alles, was sie von Lissa zu sehen bekam, Momentaufnahmen davon waren, wie diese ihr den Rücken zukehrte. Immer in Eile, immer mit einem Übermaß an Plänen, immer beschäftigt.
    Das letzte Mal, dass Caroline mit Lissa oder Julie über einen längeren Zeitraum allein gewesen war, war der Abend vor Lissas Hochzeit gewesen.Vor

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