Nur ein Blick von dir
überschlugen sich die Gedanken, während ich durch den Zug ging und nach dem Zugführer Ausschau hielt. Ich musste nach London, bevor Rob mit den Leuten von der Agentur sprechen konnte. Wenn irgendjemand sonst die Versunkenen zu sehen bekam, war alles vorbei, und ich würde das Amulett niemals zurückbekommen. Es wäre zu wertvoll, zu spannend für sie, um es wieder wegzugeben. Doch das andere, viel größere Problem war die drohende Gefahr. Wenn er mit ihnen zu einem guten Abschluss kam, könnte Rob am Ende die Falschen herbeirufen, wenn er damit anfing, mit dem Amulett eine Show abzuziehen. Das konnte brandgefährlich sein. Ich hatte wieder vor Augen, wie Grace von Catherine angefallen worden war, und schauderte. Dieses Schicksal wünschte ich nun wirklich niemandem. Aber um Rob aufhalten zu können, musste ich erst wissen, wo sie sich treffen wollten, und möglichst schnell dorthin kommen. Ich zog das riesige Handy aus der Tasche und überlegte, wie ich ihn überreden konnte. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass er sich nicht im Geringsten darum kümmern würde, was ich zu sagen hatte, doch er musste vor der Gefahr gewarnt werden. Ich musste es einfach versuchen. Als ich die Tastensperre aufgehoben hatte, stöhnte ich laut auf: Die einzige gespeicherte Nummer war die von Josh. Und ich hatte keine Ahnung von Robs Nummer. Ich musste ihm einfach weiter hinterherjagen.
Schließlich fand ich den Zugführer, der in seinem kleinen Abteil in der Zugmitte saß. Ich nahm die Sonnenbrille ab und bemühte mich, so unglücklich wie möglich auszusehen und möglichst ein paar Tränen rauszuquetschen. Dann klopfte ich zaghaft an das Fenster.
Er schob die Tür auf und fragte gelangweilt: »Ja?«
»Es tut mir sehr leid«, sagte ich mit einer Stimme, die plötzlich tränenerstickter war, als ich beabsichtigt hatte. »Ich glaub, ich bin im falschen Zug. Ich muss nach London.« Ich hielt ihm meine Fahrkarte hin.
Er schien leicht entsetzt zu sein, es vielleicht mit einem hysterischen Teenager zu tun zu haben. »Schon gut, Mädchen, beruhige dich. Das kriegen wir hin. Also …« Er stülpte die Lippen vor und nahm ein dickes abgegriffenes Kursbuch von einem Regalbrett. »Schau’n wir mal nach deinen Verbindungen.«
Er bekam schnell heraus, dass es für mich am günstigsten war, weiter bis Reading zu fahren und von dort den durchgehenden Schnellzug nach Paddington zu nehmen. Von dort konnte ich mit der U-Bahn überall hinkommen. Er verkaufte mir noch eine Zusatzfahrkarte und schloss sichtlich erleichtert die Tür.
Das Nächste war, herauszufinden, wo ich in London hinmusste. Mit meinem Handy kam ich nicht ins Internet, also konnte ich auf dem Weg nichts machen. Wenn ich aber wartete, bis ich in London ein Internetcafé fand, war ich zu langsam. Ich brauchte jemand, der mir half. Zum Glück hatte ich die eine Nummer im Kopf.
»Grace, hi, hör mal, tut mit leid, aber ich hab eine Bitte, und es muss echt schnell gehen.«
»Alex, ganz ruhig. Was ist los? Geht’s dir gut?«
»Nicht so ganz. Catherine hat mich ausgetrickst. Sie hat das Amulett nicht zerstört, aber sie hat es auch nicht mehr.«
»Was? Wo ist es denn? Was hat sie damit gemacht?«
»Ich hab jetzt nicht die Zeit, das zu erklären, tut mir leid. Ich bin im Zug und brauche eine Adresse in London. Kannst du die für mich raussuchen?«
»Natürlich, wart mal gerade, bis ich eingeloggt bin.« Es gab eine Pause, und ich konnte hören, wie ihre langen Fingernägel auf der Tastatur klapperten. »Okay«, sagte sie endlich. »
Google
ist bereit und wartet. Was musst du wissen?«
»Das Büro von diesem Agentur-Typ, Steve Scales, der, der all die Reality- TV -Leute betreut.«
»Wirklich? Na gut, wenn du das sagst.«
»Ich muss die Adresse wissen und wie ich am schnellsten von Paddington aus hinkomme.«
»Paddington«, sagte sie flach. »Ich glaub, du wirst nachher ganz schön viel erklären müssen.«
»Ich weiß, tut mir auch leid, aber jetzt ist einfach keine Zeit. Hast du es schon?«
»Warte …«, Grace murmelte vor sich hin und klapperte auf der Tastatur, als wir endlich in den Bahnhof von Reading einfuhren. Ich stieg schnell aus dem Zug und schaute, auf welchen Bahnsteig ich für den Schnellzug musste. Weiter vorne konnte ich Catherine lässig aussteigen sehen, den fast leeren Koffer in der Hand. Ich machte einen weiten Bogen, damit ich nicht zu dicht an ihr vorbeikam, und war dankbar dafür, dass ich nie mehr mit ihr würde sprechen müssen.
Ich rannte die
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