Nur ein einziger Kuss, Mylord?
entwickelte. Zwar kam es Julian so vor, als gäbe es in diesem Jahr weit weniger Probleme, die sein Eingreifen erforderlich machten, doch dafür schien es unmöglich, Begegnungen mit Miss Daventry zu vermeiden. Ständig war sie mit einer Liste in der Hand unterwegs und scheuchte die Dienerschaft durch das Haus, um die Zimmer für diejenigen Gäste herzurichten, die über Nacht bleiben würden.
Auch Alicia war in die emsigen Vorbereitungen eingebunden. Eines Morgens fand Julian sie in der Bibliothek vor, wo sie mit der Haushälterin saß und die Speisefolgen besprach.
Als er den Raum betrat, sah sie hoch. „Oh, tut mir leid, Julian. Sind wir dir im Weg?“
„Überhaupt nicht“, versicherte er geistesabwesend.
„Gut.“ Alicia wandte sich wieder zu Mrs. Pritchard um. „Junge Ente also und dazu grüne Erbsen. Ich glaube, die Aprikosentorte wird das Menü hervorragend abrunden.“
„Das denke ich auch, Miss Alicia.“ Die Haushälterin steckte ihr Notizheft ein und erhob sich. „Ich werde es an die Köchin weitergeben.“
„Danke, Mrs. Pritchard“, erwiderte Alicia. „Und sagen Sie ihr, dass ich hernach noch einmal herunterkomme und nachsehe, ob alles in Ordnung ist.“
„Selbstverständlich, Miss Alicia.“ Mrs. Pritchard knickste und verließ die Bibliothek.
„Du machst das gut, Lissy“, sagte Julian anerkennend.
Lissy errötete. „Ach was, nicht der Rede wert. Mama hat die gesamte Organisation an Miss Daventry übergeben, und Miss Daventry bat mich, bei der Menüplanung zu helfen. Mehr tue ich doch gar nicht.“
Demnach hat sie nicht bemerkt, dass sie auf diese Weise davon abgehalten werden soll, Dummheiten zu machen, dachte Julian erleichtert. Miss Daventrys Rechnung schien aufzugehen. Lissy zur Rede zu stellen hätte nur bewirkt, dass sie wütend und trotzig geworden wäre. Und vermutlich weitere heimliche Treffen mit Daventry ausgeheckt hätte. Stattdessen beschäftigte sie sich mit etwas Nützlichem – und das mit offensichtlicher Freude.
„Es macht mir großen Spaß“, bestätigte Lissy seine Gedanken und sammelte ihre Notizen ein. „Mir war gar nicht klar, wie unterhaltsam es ist, die Sitzordnung der Gäste beim Dinner auszuarbeiten.“
„Irgendein glücklicher Mann wird eines Tages sehr stolz auf dich sein können – als Ehefrau und als Gastgeberin.“ Julian zog seine Schwester sanft an einer ihrer glänzenden Locken, als er an ihrem Stuhl vorbeiging. Lissy kicherte.
„Das scheint mir eher auf Miss Daventry zuzutreffen“, sagte sie. „Ich hatte es leicht mit Mrs. Pritchard. Christy dagegen ist draußen, um Hickson beizubiegen, dass er die Blumen für die Dekoration liefern muss. Ich habe sie gewarnt, dass er wahrscheinlich mit dem Rechen auf sie losgeht, aber sie meinte, ein miesepetriger alter Gärtner mache ihr keine Angst.“
„Christy?“, fragte Julian nach.
Seine Schwester zuckte mit den Schultern. „Ihr Vorname, die Kurzform für Christiana. Ich fragte sie, ob ich sie so nennen darf, und sie sagte Ja.“ Alicia runzelte die Stirn. „Es klingt viel freundlicher, finde ich. Und sie ist eine so nette Person.“
„Ich verstehe. Nun, ich wollte gleich einen Ausritt machen. Wenn du mit deiner Arbeit fertig bist, kannst du mich gern begleiten.“
Lissy machte ein langes Gesicht. „Oh, das würde ich wirklich gerne, aber ich kann nicht. Ich habe Christy versprochen, dass ich bei den Näharbeiten helfe, während sie Davy seine Französischstunde gibt. Trotzdem, danke.“
Nett? Er dachte darüber nach, als Lissy gegangen war. Es schien ihm ein ausgesprochen nichtssagendes, langweiliges Wort, um Christy zu beschreiben – Miss Daventry , korrigierte er sich selbst. Dickköpfig, schockierend ehrlich, mitfühlend. Sie nahm die Menschen so, wie sie waren, gleichgültig, was die Gesellschaft von ihnen hielt. Wie Nan Roberts zum Beispiel. Zum Teufel, sie war wohl tatsächlich nett.
Indes bezweifelte er, dass sie ihm das Kompliment zurückgegeben hätte. Nicht dass es ihm irgendetwas ausmachte, natürlich. Als Angestellte, die sie war, konnte sie sich glücklich schätzen, dass sie überhaupt noch in seinen Diensten stand. Der leisen inneren Stimme, die ihn fragte, wie er es vor sich selbst hätte begründen wollen, sie zu entlassen, dafür, dass sie nur aussprach, was sie für die Wahrheit hielt, schenkte er geflissentlich keine Beachtung. Du lieber Himmel, sie war schließlich nur die Gesellschafterin. Sie wurde nicht dafür bezahlt, sich Gedanken zu machen, und schon gar
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