Nur ein einziges Wort
entsprechend endlich gelungen war, das nicht sehr glückversprechende Verhältnis zwischen ihrem Vater und Tante Christine zu beenden. Schließlich hätte es ja in der Zukunft womöglich noch weit größeren Schaden anrichten können. Zweitens hat er ihr mit Handschlag versprochen, in Kanada bei der Suche nach einer ‚Mama‘, wie alle anderen Kinder sie ja auch haben, behilflich zu sein. Auf die Worte von Tobias ist Verlass, daran hegt sie keinen Zweifel.
Die Flugzeit bis zur Ankunft in Toronto ist bis auf rund drei Stunden zusammengeschrumpft, als das kleine Mädchen zu dem Sitzplatz neben ihrem Vater zurückkehrt. Nur wenige Minuten danach, ob von der Anstre ngung des doch über acht Stunden dauernden Fluges oder einfach wegen der Aufregung, was sie bei der Ankunft in dem fremden Land erwartet, lehnt sie ihr zierliches Köpfchen an die Schulter ihres Vaters. Fabian, der ihre Erschöpfung wahrnimmt, postiert ein Kopfpolster auf seinen Schoß, um dann mit vorsichtigen Bewegungen den zarten Kinderkopf darauf zu platzieren. Noch einmal schauen ihre großen blauen Kinderaugen zu ihm auf, bevor sie ihre Augenlider schließt und mit einem tiefen Seufzer ohne weitere Vorwarnung in das Reich ihrer Kinderträume versinkt. Nicht mal der recht laute Gesang der anderen Mitflieger beeinträchtigt ihren Schlaf.
Fabian Bauer wird urplötzlich von einem unbeschreiblichen Glücksgefühl überwältigt. Mit leiser Stimme mischt er sich sogar in den Gesang seiner Mitreisenden ein. Zum ersten Mal in all den Jahren, die geprägt waren von Traurigkeit und zum Teil auch Selbstmitleid über Gabis Tod, kommen wieder Gesangstöne über seine Lippen. Fast erschrocken aber doch überglücklich, stellt er fest, dass seine Stimme nichts von ihrer melodischen Virtu osität eingebüßt hat.
Obwohl zuerst nur mitsummend, dann aber lauter und kräftiger werdend, tragen selbst die höchsten Töne des Tenors wieder zum vollen Genuss des Klangbildes bei.
Nach Beendigung des gerade gesungenen Liedes herrscht in der Flugzeugkabine plötzlich eine fast unheimlich anmutende Stille, die nur durch das Geräusch der beiden Triebwerke unterbrochen wird.
Als befände er sich wie früher in einem riesigen Konzertsaal, setzen schlagartig das Händeklatschen und die ‚Bravo‘ Rufe der Passagiere ein. Fabian reagiert für einen Moment wie benommen auf den überwältigenden Begeisterungssturm. Auf einmal wird ihm klar, dass der nicht aufzuhören wollende Beifall ihm und nur ihm gilt. In diesem Augenblick weiß er nicht einmal wie er reagieren soll. Hätte er noch, wie in früheren Zeiten seine Gefühle in Tränen ausdrücken können, wären diese sicherlich zu diesem Zeitpunkt über seine Wangen gerollt.
Doch jetzt sitzt er still da, die Augen geschlossen und lässt das auf sich einwirken, was er verloren geglaubt und nun auf so seltsame Weise wiedergefunden hat.
Er bekommt seine Gefühle erst wieder vollständig unter Kontrolle, als sein bester Freund Peter Weiler vor ihm steht und seine kräftigen Hände auf Fabians Schulter platziert. Mit ungläubigen Blicken schaut er in das Gesicht des Geistlichen, der nun mit feuchten Augen vor ihm steht. Es hat den Anschein, als wenn beide gerne etwas sagen möchten. Doch keiner von ihnen ist in der Lage auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben. Aber nur sie beide wissen, was gerade im Innern des vorher so bekannten und berühmten Tenors vor sich geht. De nnoch wird das vorhin Geschehene auch für sie ein ewiges Rätsel bleiben.
Wie von Flugkapitän Hans-Werner Zimmermann bereits über die Bordsprechanlage bekannt gegeben, wird bedingt durch günstige Flugbedingungen die Ankunft in Toronto um 16.08 Uhr erfolgen. In der nun folgenden Durchsage bestätigt der ‚Erste Offizier‘, dass man sich bereits im Landeanflug auf Toronto befindet. Die Außentemperatur in Toronto beträgt zurzeit -4 Grad Celsius und die Wetterlage beschert den Ankömmlingen leichten Schneefall.
Mit einer glanzvollen Landung des Airbusses, die meisten Passagiere haben nicht einmal das Aufsetzen des Fahrwerkes auf der ‚Runway‘ bemerkt, ist ‚ Transatlantic Global Flight #371‘ in Toronto angekommen. Nach dem Ausrollen und Andocken an der angegebenen Parkposition am Terminal 1 des ‚Pearson International Airports‘ haben die ‚Gottscheer‘ Kanadabesucher den längsten Teil ihrer Reise hinter sich und sind nur noch eine kurze Zeit von ihrem endgültigem Ziel, der St. Mary’s Pfarrei in Kitchener, entfernt.
Das
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