Nur ein einziges Wort
übermannt auch ihn der Schlaf, zwar nur für einige wenige Stunden, denn als er gegen vier Uhr mo rgens hellwach in seinem Bett sitzt, schweifen seine Gedanken unwillkürlich zurück auf das Geschehene des Vortages. ‚Als stünde sie gerade vor ihm, sieht er das ebenmäßige Gesicht und die auffallend schönen, grünen Augen Tatjanas vor sich. Gleichzeitig wird ihm klar, dass diese Frau Charisma hat und von einer Aura umgeben ist, die einen dunklen Raum in strahlende Helligkeit verwandeln kann. Aber warum war ihr Verhalten ihm gegenüber so eiskalt? War es das wirklich? Oder war es nur seine Einbildung? Warum ist Stefanie von ihr so angetan? Kinder deuten instinktiv Gefühle am ehesten richtig und seine Stefanie bedeutet diesbezüglich ganz bestimmt keine Ausnahme. Schließlich war ihre Abneigung gegenüber Christine von Anfang an gegenwärtig und hatte sie damit nicht Recht behalten? Oh mein Gott, Fabian, es ist das eingetreten, was du nach Gabis Tod nie mehr für möglich gehalten hast! Du bist total verliebt und das in weniger als 24 Stunden‘.
Seine Gedanken überschlagen sich, ja sie schlagen Purzelbäume, doch es gelingt ihm nicht, sie richtig einzuor dnen. An ein Weiterschlafen ist in diesen frühen Morgenstunden nicht mehr zu denken. Vorsichtig und geräuschlos schleicht er sich in das Badezimmer auf der gegenüberliegenden Flurseite.
Noch bevor der eigentliche Morgen anbricht, sitzt er bereits kurz nach sechs Uhr in dem ihm am Vortag gezei gten Frühstücksraum des Pfarrhauses um seinen Gedanken nachzuhängen und dabei auf seinen Freund, Pfarrer Peter Weiler, zu warten.
Etwa acht Kilometer entfernt im Haus der Königs im Stanley Park begibt sich Tatjana König nach ihrer Rückkehr vom Pfarrhaus in ihr Zimmer. Sie möchte sicherstellen, dass das ihr und ihrer Mutter anvertraute achtjährige Mädchen wirklich tief und fest eingeschlafen ist.
Vorsichtig und ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen, schleicht sie in den Raum, welchen sie von heute an für einige Tage mit der kleinen Stefanie teilen wird. Ein befriedigendes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie das schlafende Kind betrachtet. Die langen blonden Locken fallen lose über die Bettkante und berühren fast den Boden.
Ihrer Mutter noch eine ‚Gute Nacht‘ wünschend, schließt Tatjana genauso geräuschlos wie sie vorhin eingetr eten ist, die Zimmertüre bevor sie sich auf ihrer Bettkante niederlässt. Auch bei ihr ist trotz aller Müdigkeit an ein sofortiges Einschlafen kein Gedanke.
Nach dem Nachtgebet bemerkt sie unwillkürlich, dass sie nicht nur das süße Kind neben ihr, sondern auch de ssen Vater Fabian bereits in ihr Gebet eingeschlossen hat. Sich nochmals der kleinen Stefanie zuwendend und dabei die Bettdecke vorsichtig über die Schultern des Kindes ziehend, bemerkt sie ein Bild, welches das Mädchen fest in ihrer kleinen Hand hält.
Als wäre es zerbrechlich oder aus Angst es zu beschädigen, löst Tatjana die Fotografie vorsichtig aus der Ki nderhand. Nur von der kleinen Nachtlampe beleuchtet, sind auf der Vorderseite Fabian und seine so wunderhübsche Frau Gabi deutlich erkennbar. Bevor Tatjana das Bild auf dem Nachtkasten neben Stefanies Bett ablegen kann, entgleitet es ihren Händen und fällt mit der Vorderseite nach unten auf den Boden. Erst beim Aufheben fällt ihr die beschriebene Rückseite ins Auge. Neugierig hält sie diese unter das schwache Licht der Nachtlampe, bevor sie die Worte entziffert: ‘Neben mir steht der Traum meines Lebens, mein Fabian, den ich für immer und ewig lieben werde.‘
Als hätte sie einen glühend heißen Gegenstand berührt, legt sie mit einer hastigen Gebärde das Bild auf Stef anies Nachtkasten, bevor sie sich, seelisch total aufgewühlt, in ihr Bett begibt.
Doch was nun folgt, ist eine stille Zwiesprache mit Gott, der in ihrem bisherigen Leben immer wieder die b edeutsamste und größte Rolle gespielt hat. Schlagartig denkt sie zurück, als sie gerade vierzehn Jahre alt, mit ihrer Schulklasse auf einer Ausflugsreise in einen grausamen Unfall verwickelt wurde. Auf regennasser Fahrbahn kam durch einen entgegenkommenden Lastkraftwagen ihr Reisebus ins Schleudern und rutschte, sich mehrfach überschlagend, eine steile Böschung hinab und dann zum Glück in einer aufrechten Position zum Stehen kam.
Viele der zweiundvierzig im Bus befindlichen Kinder wurden schwer verletzt und wie durch ein Wunder gab es keine Todesfälle. Glücklicherweise blieb sie bis auf einige Schrammen
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