Nur ein galantes Abenteuer?
sie beinahe mit dem Mann zusammen, an den sie gegen ihren Willen so häufig denken musste. Er zog vor ihr den Hut. Unwillkürlich bewunderte sie seine attraktive Erscheinung. Er trug einen dunkelgrünen Gehrock und helle Reithosen. Offenkundig hatte er gerade einen Ausritt unternommen, denn er hielt noch seine Reitgerte in Händen. Sie lächelte und wünschte ihm einen guten Morgen.
„Sie sind früh dran, Miss Holbrook.“ Er musterte ihr Bücherbündel und lächelte, als er sah, dass sie nicht nur einen Gedichtband, sondern auch einen ziemlich blutrünstigen Schauerroman entliehen hatte, der gerade bei den jüngeren Damen für Furore sorgte. „Ah, ich sehe, Sie sind einem Trivialroman auf den Leim gegangen, der fälschlicherweise als großartiges Werk gefeiert wird.“
„Halten Sie nichts von Ann Radcliff, Sir?“
„Ich finde ihre Bücher nicht besonders unterhaltsam“, gab Freddie zu, „obwohl ich mir vorstellen kann, dass sie beim weiblichen Verstand besser ankommen.“
Caroline wurde zornig. „Sie verhalten sich herablassend, Sir. Der weibliche Verstand ist sehr wohl in der Lage, schöngeistige Literatur zu verstehen, aber ein Roman dieser Art dient eben nur der Unterhaltung.“
Freddie amüsierte es, wie leicht sie sich von ihm ärgern ließ. „Ich persönlich bevorzuge Voltaire oder Rousseau – aber das ist wohl nicht die geeignete Lektüre für eine junge Dame. Wenn Sie Freude an Schauergeschichten haben, kann ich Ihnen Gregory Lewis’ Roman ‚Der Mönch‘ empfehlen.“
„Den kenne ich bereits“, erwiderte Caroline. „Ich fand ihn ein wenig schockierend, aber er ist gut geschrieben. Haben Sie denn Mrs. Radcliffs Buch ‚Die Geheimnisse von Udolpho‘ gelesen?“
„Ja, vor einigen Jahren“, gab er zu. „Ich halte es für ihr bestes Buch.“
„Leider war es in der Bibliothek nicht vorhanden“, sagte Caroline.
„Da kann ich Ihnen weiterhelfen“, entgegnete Freddie. „Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen das Buch leihe, Miss Holbrook …“
Freddie bemerkte, dass sie ihm nicht zuhörte, sondern auf etwas hinter seinem Rücken achtete. Er drehte sich um und sah, dass ein kleiner Junge von einer Bande Älterer angegriffen wurde. Im letzten Moment, als Caroline gerade unbesonnen losstürzte, sodass sie fast vor einen Brauereiwagen lief, fasste er sie am Arm und hielt sie zurück. Sie schrie auf.
„Ich bitte Sie, hier zu bleiben und mich die Sache regeln zu lassen!“
Er hatte seine Aufforderung in derart strengem Tonfall vorgetragen, dass Caroline stehen blieb, während er sich durch den Verkehr über die Straße schlängelte. Sie beobachtete, wie er mit den Jungen sprach, sie auseinander brachte und dem Angegriffenen eine Münze zusteckte.
„Was ist passiert?“, wollte sie wissen, als er zu ihr zurückkam. „Ist er verletzt worden?“
„Es war nur ein Streit unter Brüdern“, beruhigte Freddie sie. „Der Junge hatte das Geld verloren, das ihm einer der anderen für das Essen anvertraut hatte. Kein Grund zur Beunruhigung, Miss Holbrook.“
„Nett von Ihnen, dass Sie ihm Geld gegeben haben, Sir“, sagte sie.
„Das war keine große Sache.“ Er sah sie ernst an. „Ich rate Ihnen, etwas weniger impulsiv zu reagieren, Miss Holbrook. Sie hätten eben leicht unter die Räder geraten können.“
„Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen“, erwiderte sie. „Ich hatte die Kutsche gesehen und wäre ihr problemlos ausgewichen. Ich gehöre nicht zu den jungen Damen, die bei jeder Kleinigkeit in Ohnmacht fallen.“
„Nein, das sicher nicht, aber ihr Verhalten ist manchmal ein wenig zu waghalsig“, kritisierte er. „Um genau zu sein, sind Sie zu hübsch, um unter einer Kutsche zu enden, Miss Holbrook. Aber bevor Sie wieder böse auf mich werden … ich hatte Sie gerade gefragt, ob ich Ihnen das Buch ausleihen darf.“
Caroline zögerte, doch ihr Wunsch den Roman zu lesen, besiegte den Ärger über seine Ermahnung. „Danke, ich würde es gern ausleihen. Es wurde mir empfohlen.“
„Dann lasse ich es bei Ihrer Tante abgeben“, versprach Freddie und verabschiedete sich von ihr.
Es gelang Caroline, wieder ins Haus zu schlüpfen, ohne dass ihre Tante es bemerkte. Doch ihre Mutter hatte bereits nach ihr fragen lassen und zeigte sich betrübt, dass sie allein aus dem Haus gegangen war.
„Es gehört sich nicht, dass du ohne Begleitung durch die Stadt läufst, meine Liebe“, tadelte sie ihre Tochter. „Was kann dir nicht alles draußen zustoßen? Du kannst auf der
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