Nur ein Jahr, Jessica!
eine Familie mit Kinderwagen und ein paar größeren Kindern sah oder ein junges verliebtes Paar – na, dann überkam mich doch ein Gefühl der Einsamkeit. Es war so seltsam zu wissen, daß ich nicht die geringste Chance hatte, unter diesen unzähligen, sonntagsfrohen Menschen einen einzigen zu treffen, den ich kannte.
Ich rief mich selbst zur Ordnung. Ich hatte doch so viele Menschen, die mich liebhatten. Es wäre doch noch schöner, wenn ich hier melancholisch werden sollte! „Jessica“, sagte ich zu mir. „Schön durchhalten! Denk an das Gehalt! Denk an dein Sparbuch! Und es ist ja nur ein Jahr, Jessica!“
Dann dachte ich an Reni, die sich so schrecklich auf ihr Kind freute – was hatte sie noch geschrieben? „Ich gebe ehrlich zu, daß unser Kind nicht eingeplant war. Aber, du lieber Himmel, wie freue ich mich darauf! Ich sitze hier abends und stricke Strampelhöschen, selbst das Stricken macht mir Spaß, wenn ich an die kleinen Beinchen denke, die in den winzigen Kleidungsstückchen strampeln werden – daß es Manfreds und mein Kind ist, das im November auf die Welt kommen soll…“
Ich stand von der Bank auf. Ich wollte zu den Geparden. Ich wollte nun diese Tiere, von denen Reni immer schwärmte, nachdem sie bei Sonja in Kenia war, endlich aus nächster Nähe sehen und gründlich studieren.
Ich hatte Glück. Vor dem großen Gehege mit zwei herrlichen Geparden stand kaum jemand. Nur eine Dame mit einem süßen kleinen goldlockigen Mädchen.
„Guck, Tante Edda!“ flüsterte das Kind. „Das da ist das Weibchen, ob das wohl Junge kriegt, das Gesäuge ist so groß geworden!“
Ich mußte schnell einen Blick auf dieses merkwürdige Kind werfen.
Soviel Sachlichkeit und solche Ausdrücke hatte ich noch nie aus einem Kindermund gehört. Die Kleine schien höchstens zehn bis elf Jahre alt zu sein.
„Ach nein“, kam es nach einer weiteren Minute, nachdem sie sehr aufmerksam das schöne Tier beobachtet hatte. „Nein, das stimmt doch nicht. Sie ist ja so schlank. Kannst du das begreifen, Tante Edda, Löwen und Tiger und Leoparden bekommen Kinder in Gefangenschaft, aber die Geparden beinahe nie! Und dabei gehören sie doch zu derselben Familie!“
Jetzt war ich sprachlos. Was für ein zoologisches Wunderkind!
Meine Augen trafen sich mit denen der Dame, die das Kind „Tante Edda“ genannt hatte. Wir lächelten beide.
„Ja, wenn Sie etwas über Tiere wissen wollen, dann fragen Sie nur meine kleine Freundin“, sagte sie. „Sie ist ein wanderndes Tierlexikon!“
„Schade“, seufzte die Kleine.
„Was ist schade, Lillepus?“
„Du darfst nicht mehr Lillepus sagen, Tante Edda. In der Schule sagen sie Elaine, und das mußt du auch!“
„Entschuldige, Elaine, ich werde daran denken. Du weißt, als wir uns kennenlernten, nannten alle dich Lillepus. Aber was ist schade?“
„Daß ich nie Gepardenkinder zu sehen bekomme! Sie müssen doch wonnig sein!“
„Möchtest du ein Bild von zwei ganz kleinen Geparden sehen, Elaine?“ fragte ich.
„O ja! Hast du – ich meine, haben Sie eins?“
Ich nickte und holte Renis Brief aus der Tasche.
„Hier, guck mal. Der jungen Dame auf dem Bild gehört die Gepardenmutter. Das Tier ist ganz zahm, und du siehst, daß sogar die Menschen die Kleinen auf den Arm nehmen dürfen!“
Elaine beugte sich eifrig über das Bild.
„Oh, sind sie süß! Sieh doch, Tante Edda – und gleich zwei Stück – oh, so eins möchte ich haben!“
Die Dame lächelte und warf einen Blick auf das Bild. Dann griff sie in ihre Handtasche und holte eine Brille heraus. Jetzt sah sie sich das Bild genauer an.
„Aber das ist ja – das muß doch Sonja sein – oder ist es Senta? Nein, Sonja, natürlich, bei dieser Tierliebe – nicht wahr, es ist Sonja Rywig?“
„Ja, das stimmt, das heißt, eigentlich ist es Sonja Brunner!“
„Klar, sie ist ja längst mit ihrem Heiko verheiratet! Wissen Sie, ich habe es miterlebt, als die beiden sich kennenlernten!“
„Oh, dann waren Sie in Ostafrika vor vier Jahren? Als Sonja und Senta ihre Afrikareise gewonnen hatten?“
„Genau! Ach, dies ist aber lustig! Sind Sie eine Freundin von den beiden?“
„Ich kenne sie jedenfalls, wir haben bei meiner Patentante einen reizenden Abend zusammen verbracht. Senta war Haustochter bei ihr…“
„Dann ist Ihre Patentante Frau von Waldenburg in Kiel!“
„Ja das stimmt! Und da waren also Sonja und Heiko und Senta und ihr Mann Rolf…“
„Senta ist auch verheiratet? Darüber müssen Sie
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