Nur ein Jahr, Jessica!
die ganze Woche darauf gefreut, Sie wiederzusehen. Ich war nur ein bißchen in Zweifel, als es anfing, so furchtbar zu regnen.“
„Oh, dann ist es doch am schönsten hier! Dann haben wir endlich Ruhe! Wie ist es, Elaine, was steht jetzt auf deinem Programm?“
„Die Otter“, erklärte sie. „Aber wir können auch warten, bis es nicht mehr so regnet. Ich glaube, wir gehen zum Rundbau und kratzen Helene ein bißchen, das mag sie so gern.“
Wer Helene war, ahnte ich nicht. Sie entpuppte sich als ein großes, rotbraunes Pinselohrschwein. Sie drückte den mächtigen Körper gegen die Gitterstäbe, so daß Elaine ihren Rücken kraulen konnte.
„Helene ist ganz alt“, erklärte sie. „Viel älter als ich!“
„Stimmt“, die Mutter lächelte. „Helene lebte schon, als Vati und ich das erstemal im Zoo waren, also vor zwölf Jahren!“
Es schien Frau Grather eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß wir zusammen gingen. Wir ließen uns von Elaine führen, sie wußte überall Bescheid, kannte viele der Wärter, nannte viele Tiere beim Namen. Es war lehrreich und urgemütlich.
Aber der junge Herr Marcus machte dem Zoobesuch ein Ende. Er fing an zu quaken und verlangte lautstark nach Essen.
„Ja, es ist kein Wunder“, gab seine Mutter zu. „Und heute haben wir keinen spendierfreudigen Onkel Benno hier. Wir müssen wohl so langsam, das heißt sehr schnell nach Hause rollen. Kommen Sie mit Fräulein Berner? Allerdings weiß ich nicht, ob man einer gelernten Köchin unser bescheidenes Essen vorsetzen kann.“
„Von wegen gelernt! Ich bin ein blutiger Laie, Frau Grather. Es ist wahnsinnig nett von Ihnen, und natürlich komme ich liebend gern mit!“
Frau Grather hatte ihren Wagen auf dem Parkplatz neben dem Zoo. Die Kinder wurden hinten hingesetzt, so daß ich mich ein bißchen mit Frau Grather unterhalten konnte, wenn der Verkehr nicht allzu stark war.
„Wissen Sie“, begann ich nach einer Weile, „dies ist die größte Freude die ich gehabt habe, seit ich nach Frankfurt kam!“
„Ach, Sie Ärmste! Dann sind Sie ja nicht mit Freuden verwöhnt. Ist es indiskret zu fragen, warum Sie dann ausgerechnet hierhergekommen sind?“
„Nein, die Frage ist durchaus berechtigt. Ich kam hierher, weil man mir ein fürstliches Gehalt anbot, und ich muß Geld verdienen. Sehr viel Geld sogar.“
„Ich verstehe.“
Nun mischte sich Elaine ins Gespräch: „Wozu brauchst du all das Geld, Jessica?“
„Elaine!“ sagte Frau Grather streng. „Das geht dich nichts an!“
„Aber es ist kein Geheimnis“, erklärte ich. „Ich brauche es, um weiter studieren zu können. Es fehlen mir noch sechs Semester, ich habe genau die Hälfte hinter mir.“
„Sechs – die Hälfte? Dann studieren Sie bestimmt Medizin“, meinte Frau Grather.
„Genau! Ich habe gerade noch das Physikum geschafft…“
„Was ist Physikum?“ kam die Frage vom Rücksitz.
„Oh, das ist eine Prüfung, ein sehr wichtiges Examen.“
„Welche Note hast du gekriegt?“
„Ich gebe es auf!“ seufzte Frau Grather. „Antworten Sie bloß nicht, die Göre muß endlich lernen, daß man nicht alles fragen darf!“
„Schade!“ seufzte ich. „Gerade diese Frage hätte ich wirklich gern beantwortet.“
„Na, dann dann packen Sie Ihre Eins aus!“
„Ja, wissen Sie, das stimmt sogar.“
„Und dann mußten Sie aufhören, das ist doch schrecklich. Hoffentlich brauchen Sie keine allzulange Pause zu machen.“
„O nein! Nur ein Jahr. Dann geht’s weiter!“
Wir bogen in eine kleine Straße ein. Hier lagen schöne Villen, vornehm zurückgezogen hinter blühenden Vorgärten.
Vor einem dieser Häuser hielten wir. Elaine sprang wie ein Blitz aus dem Wagen, riß das Gartentor auf, und schon kam ihr ein riesiger Hund schwanzwedelnd entgegen, ein kräftiger, schwerer Bernhardiner.
„Wo ist Anton, Barry?“
Barry drehte den Kopf, bellte kurz, ging ein paar Schritte zurück in Richtung Hundehütte. Dann erschien der zweite Einwohner der Hütte. Ein gefleckter Kater, der laut gähnte und sich ausgiebig reckte und streckte, bevor er sein kleines Frauchen begrüßte. Dann sprang er ihr auf die Schulter, Frau Grather setzte Marcus auf Barrys Rücken – alles so kommentarlos, so eingespielt, man merkte, daß dies zu den Selbstverständlichkeiten der Familie gehörte.
Wir mußten um das Haus gehen, der Eingang befand sich auf der Rückseite. Im Garten saß eine alte, weißhaarige Dame in einem Liegestuhl, eingewickelt in eine Decke.
„Hallo, war’s
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