Nur ein Katzensprung
Wahrscheinlich kannte er sich mit aufgeregten Zeuginnen aus und nahm es ihr nicht übel.
Am Küchentisch schrieb sie hinter Spiegelstrichen alles auf, was sie und Anna sich überlegt hatten. Anschließend ging sie zu Kim. Die lag gemütlich in ihrem Bett und las die „Hexe Lilli“. Irene setzte sich auf ihre Bettkante. „Guten Morgen, meine Süße. Warum kommst du nicht zum Frühstücken herunter, wenn du wach bist?“
„Lilli ist in Ägypten. Sie muss dem Pharao helfen.“
„Mit ihrer Zauberkraft ist das garantiert kein Problem. Hör mir mal bitte aufmerksam zu, ich muss weg. Für etwa eine Stunde, allerhöchstens zwei.“
„Wo musst du hin? Zur Arbeit?“
„Nein, ich treffe mich mit den beiden Kommissaren.“
„Wegen Emma?“
„Auch, aber hauptsächlich wegen Leon.“
Kims Gesichtsausdruck verriet Irene nicht, was sie darüber dachte. Stattdessen fragte sie: „Kommt Anna zu mir?“
„Ich habe sie noch nicht angerufen. Soll sie?“
„Sie wollte sowieso mit zum Ballett gehen und sich den Pas de Chat angucken.“
„Dann machen wir es so. Ich stelle dir den Wecker, wann du losgehen musst, und Anna sage ich, dass sie gleich zur Ballettschule kommen soll.“
Kim zog eine Schnute.
„Für Anna ist es ein großer Umweg, wenn sie erst zu uns kommt und danach mit dir zur Ballettschule geht.“
„Die Tasche mit dem Kostüm ist schrecklich schwer.“
„Das stimmt. Ich glaube nicht, dass du heute das Kostüm brauchst. Ihr habt ja keinen Auftritt. Ich packe dir deine Stulpen und die Trainingssachen ein, die sind leichter.“
Kim hüpfte aus dem Bett. „Machst du mir noch einen frischen Orangensaft, bevor du gehst, schön sauer, aber ohne Flusen?“
Irene erreichte Anna nicht persönlich, hinterließ ihr aber eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Sie machte sich keine Sorgen deswegen, da sie sich sowieso mit Anna verabredet hatte, gegen halb zwölf vor der Ballettschule.
Als sie das Haus verließ, strahlte die Sonne aus allen Knopflöchern. ‚Bei dem schönen Wetter sollte man einen Waldspaziergang machen‘, dachte Irene und stieg in ihren Wagen.
Vor der Dienststelle der Polizei war kein Parkplatz frei, also fuhr sie kurzerhand auf das Parkdeck, auf dem heute nur drei Autos standen.
Nachdem sie ausgestiegen war, bemerkte sie, dass Kommissar Ollner ihr aus einer Tür winkte, die vom Parkplatz aus direkt in das Gebäude führte.
„Guten Morgen, kommen Sie ausnahmsweise hier herein. Mein Kollege Kofi Kayi und ich sind auch eben erst eingetroffen. Bitte folgen Sie mir.“
Sie stiegen die Treppe hinauf, wobei Irene bemerkte, dass der Polizist sich ziemlich quälte. Als sie oben angekommen waren, musste er verschnaufen. „Es tut mir leid, dass ich Sie angerufen habe, Sie sollten im Bett liegen und sich ausruhen“, sagte Irene.
„Ich muss in Bewegung bleiben, das ist viel wichtiger“, antwortete Ollner. „Gehen Sie vor, die zweite Tür rechts. Sie kennen den Kollegen ja.“
Irene wäre lieber in seiner Nähe geblieben, wagte aber nicht, ihm zu widersprechen.
Sie klopfte an die Tür, die halb offen stand.
„Kommen Sie herein“, sagte Kommissar Kayi. „Möchten Sie einen Campingwecken? Ich habe welche mit Rosinen und ohne.“ Er hockte vor einem kleinen Tischchen und füllte Kaffeepulver in eine Maschine ein.
„Nein danke, Ihr Kollege kommt gleich.“ Irene sah sich in dem schmucklosen Büro um. Es wurde von den beiden Schreibtischen dominiert, verfügte aber über große Fenster, die viel Licht und heute auch Sonne hereinließen.
Wenig später saßen sie zu dritt am Schreibtisch des schwarzen Polizisten und gingen Irenes Überlegungen Schritt für Schritt durch.
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Holzminden
Sonntag, 6. November 2011
gegen 11.30 Uhr
53
Anna lief schnell noch einmal ins Haus, um sich eine dünnere Jacke anzuziehen, als ihr Handy meldete, dass eine SMS eingegangen war. Sie angelte nach dem Telefon und rief die Nachricht ab. Sie stammte von Kim. „Gehe Emma bsuchen. Kazensprung okee.“
Anna las die Mitteilung zweimal, konnte aber nichts damit anfangen. Wieso Emma besuchen? Sie sah erneut auf die Uhr. Das Training hatte doch noch nicht angefangen, warum hatte Kim ihren Sprung schon geschafft?
Anna rannte los.
Sie rempelte einen Mann mit Rollator an und lief beinahe vor ein Auto, als sie bei Rot über eine Ampelkreuzung sprintete. Nachdem sie die Fußgängerzone erreicht hatte, kam sie schneller voran. Dafür bekam
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