Nur ein Katzensprung
noch viele Details zu klären gibt. Vorher unterschreiben sie nichts.“
„Kann dieser Nussbaum ihn nicht vertreten?“
„Oliver? Der kümmert sich nur um die Vertragsgestaltung. Das macht auf die meisten Kunden keinen Eindruck. Wenn Leon sein Werbekonzept auf den Tisch legt, Hochglanzdrucke, interaktive Websites, Briefpapier und Visitenkarten aus Büttenpapier, dann sehen die Kunden ihre neue Firma plastisch vor sich, dann gewinnt sie Kontur und wird Wirklichkeit.“
„Dann unterschreiben sie? Nur weil es einen Flyer und eine Website gibt?“
„Klar. Sie haben mit mir eine Location gefunden, und Leon gibt ihnen die Vision, zeigt ihnen, was daraus werden kann.“
„Werden kann, noch genauer: eventuell werden könnte, er kann doch nicht hellsehen.“
„Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, er hat ein gutes Gespür für Menschen, für das, was sie antreibt. Seine Konzepte treffen meistens direkt ins Herz der Kunden.“
„Meistens?“
„Naja, niemand ist unfehlbar.“
„Also hat es schon mal Reinfälle gegeben?“
„Worauf willst du hinaus?“
„Hat es Reklamationen gegeben?“
„Aber nichts Bedeutendes.“
„Nicht bedeutend? Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass etwas, das für dich unbedeutend ist, für einen anderen eine Katastrophe sein könnte? Vielleicht ist das die Erklärung für Leons Verschwinden.“
„Du denkst nicht, dass er etwas mit den entführten Kindern zu tun hat?“
„Nein, denkst du das?“
Irene lehnte sich zurück. „Nein, nein, natürlich nicht, nur manchmal …“
„Nur manchmal?“
„Manchmal frage ich mich, ob er untergetaucht ist, untertauchen musste.“
„Weswegen?“
„Wenn ich das wüsste. Vielleicht hat er einen Fehler gemacht?“
„Einen Tippfehler auf dem Flyer oder einen Zahlendreher auf der Website?“ Anna wollte die Freundin aufheitern, aber es gelang ihr nicht.
„Manche Kunden vertrauen der Firma, vertrauen Leon wirklich große Summen an, manchmal mehrere Millionen.“
„Du meinst, Leon hätte etwas unterschlagen?“
„Das hätte die Polizei herausgefunden, oder? Die haben seinen Computer überprüft und alle Unterlagen.“
„Haben sie etwas gefunden?“
„Nichts. Das muss aber nichts heißen.“
„Wieso nicht? Die haben Profis für so etwas bei der Polizei.“
„Schon, aber die geben sich keine richtige Mühe. Einmal wegen der Kinderentführungen und zum anderen, weil es keinen Beweis für eine Straftat gibt. Wenn es nach der Polizei geht, hat Leon das Recht, nicht zur Arbeit zu kommen. Ich glaube, die gehen davon aus, dass er mit einer Freundin nach Mauritius oder auf die Osterinseln geflogen ist und es sich gutgehen lässt.“
„Du bist aber hier.“
„Und Stella auch!“ Irene hielt sich den Mund zu.
„Wieso Stella?“
Irene zuckte mit den Schultern.
„Nun red schon.“
„Ich dachte bis heute Mittag, die beiden hätten was miteinander, da war ich mir völlig sicher. Und dann …“
„Was? Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.“
„Sie hat mich zum Mittagessen eingeladen.“
„Hatte sie was gutzumachen?“
„Sie hat mir erzählt, dass Oliver Nussbaum sie angestachelt hätte, mich aus der Firma zu vergraulen.“
„Warum das?“
„Verletztes Ego.“
„Wieso hat sie es gemacht?“
„Angeblich, weil sie in Oliver verliebt ist.“
„In einen Anwalt?“
„Außerdem behauptet sie, dass er einen Schlüssel zu Leons Büro und seiner Wohnung besitzt. Egal, mir ist da gerade noch etwas Wichtigeres eingefallen.“
„Nicht egal, du musst ihn zur Rede stellen.“
„Werde ich ja. Hör zu. Wir hatten eine Beschwerde, letzte Woche Mittwoch muss das gewesen sein. Da ist dieser Personal Trainer, Hanske, Detlef Hanske in mein Büro gestürmt.“
„Hanske? Ist das der Judotrainer von Kelvin? Der nicht richtig auf den Jungen geachtet hat?“
„Genau der.“
„Der war Kunde bei euch?“
„Er hat sich als Personal Trainer selbstständig gemacht. Er will begabte Kinder und deren Eltern betreuen, sodass die jeweiligen Talente optimal gefördert werden.“
„Dafür zahlen die Leute?“
„Er macht auch normale Fitnessangebote, Walking und so, Muskelaufbau nach Schlaganfall.“
„Okay, Werbekonzept Schwarzenegger, kann ich mir vorstellen. Was ist schiefgegangen?“
„Kann ich dir nicht genau sagen. Leon hat ihn sofort in sein Büro gebeten. Dort hat Hanske noch ein bisschen herumgebrüllt. Nach einer guten Stunde ist er weggegangen, ohne sich bei mir zu entschuldigen oder wenigstens
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