Nur eine Ohrfeige (German Edition)
zukamen.
Scheiß Serienschwuchtel-Produzenten. Das bevorstehende Meeting war nicht gerade ein Lichtblick. In den letzten Wochen waren ihre Texte immer schwülstiger geworden, gewollt theatralisch und gleichzeitig selbstkritisch und ironisch. In ihrem letzten Drehbuch zitierte ein junges Mädchen Verlaine. Aber das war nicht das Problem. Die Produzenten und die Leute vom Sender hatten sich gegenseitig dazu gratuliert, ein Inzestszenario in die Handlung ihrer Vorabendserie eingebaut zu haben. Damit waren sie »mutig«, übernahmen »soziale Verantwortung«. Anouk hatte diesbezüglich keine Illusionen. Im Grunde war es das alte Thema: Kindesmissbrauch einschließlich einer nicht näher beschriebenen sexuellen Folter. Das Opfer und sein Vater waren außerdem Nebenfiguren, die neuen Nachbarn der Hauptfamilie. Hätten die Werbekunden protestiert, wäre es somit relativ einfach gewesen, die Sache fallenzulassen. Nicht dass sich wirklich jemand beschwert hätte. Wie der Produzent mehrmals betont hatte, hatten sie dabei »die Grenzen des guten Geschmacks nicht überschritten«. Als sie das zum ersten Mal hörte, musste Anouk laut lachen. Einer der anderen Autoren, Johnny, hatte ihr von einer Freundin erzählt, die in Hollywood an der Produktion eines Mehrteilers beteiligt war, der im Zweiten Weltkrieg spielte. Sie hatte Johnny eine vertrauliche E-Mail geschickt, die die Autoren erhalten hatten und in der es hieß:
Alle Szenen in den Gaskammern müssen geschmackvoll inszeniert sein und dürfen das Feingefühl des Zuschauers nicht verletzen
. Anouk hatte sich eine Kopie davon zu Hause über den Schreibtisch gehängt. Sollte sie jemals der Illusion erliegen, ihr Beruf sei in irgendeiner Form glamourös, oder noch schlimmer, wichtig, würde sie an diese E-Mail denken. Sie holte ihr jüngstes Erzeugnis aus der Tasche, quetschte sich neben einen freundlichen alten Mann auf die Bank und fing an zu lesen. Sie musste lächeln. Die würden sie umbringen.
Sie hatte aus dem vermeintlichen Opfer eine Lügnerin gemacht,sie als sadistisches Biest entlarvt. Es gab eine Szene, in der die Fünfzehnjährige im Korridor der Highschool ihren sympathischen Lehrer bat, sie zu küssen. Als der schockierte Lehrer sich weigerte, gab sie ihm zu verstehen, sie könne ihn in Schwierigkeiten bringen. Das war alles. Eine irritierende Szene, die sie geschrieben hatte, um den Zuschauer zu provozieren und um die Geschichte interessanter zu machen. Außerdem langweilte sie die süße, nette Art des Mädchens. In der Serie gab es jede Menge vorbildliche, dralle Blondinen, weswegen Anouk sich dekadent und schäbig vorkam und ihnen eine reinwürgen wollte. Sie lächelte wieder. Er würde sie umbringen.
Zehn Minuten lang schrie er sie an. Statt ihn zu unterbrechen, grinste sie die ganze Zeit nur überheblich, was ihn, wie sie wusste, nur noch rasender machte. Keiner der anderen Autoren sah ihr ins Gesicht oder unterstützte sie in irgendeiner Hinsicht, aber das überraschte sie nicht und ärgerte sie auch nicht. So war das beim Fernsehen: Nachher in der Kneipe würden sie alle auf ihrer Seite sein. Ihr Skript wurde verworfen, und sie würde kein Geld dafür bekommen.
Das war der einzige Punkt, dem Anouk widersprach. »Du musst mich bezahlen.«
»Für diesen Mist kriegst du keinen einzigen Cent, du dämliche Kuh.«
Sie reagierte, ohne zu zögern: Beim australischen Fernsehen zu arbeiten bedeutete, sich auf die niedrigste Ebene zu begeben.
»Wenn du mich nicht bezahlst, du fette Schwuchtel, lege ich diese Produktion so schnell lahm, dass dir die Werbe-Dollars nur so aus deinem ausgeleierten Arsch raussprudeln.«
Sie bluffte. Sie bezweifelte, dass sie genug Unterstützung vom Autorenverband bekäme, um auch nur die Kantine für eine Stunde zu schließen. Immerhin geriet er kurz ins Stocken, und in dem Moment hatte sie gewonnen.
»Okay, für die neue Fassung kriegst du aber keinen einzigenDollar mehr. Und die will ich morgen früh haben. Verstanden, Schätzchen?«
»Ich hab morgen früh schon was vor,
Schätzchen
. Ich kann ja mal Rhys fragen.« Normalerweise erwähnte sie ihre Beziehung bei der Arbeit nicht. Sie war erst vor ein paar Monaten publik geworden, und inzwischen wusste es jeder, aber sie hatte keine Lust, mit irgendjemandem im Studio darüber zu reden. Allerdings vermutete sie, dass der Produzent auf Rhys stand. Es war einfach zu verlockend.
»Der bringt sie dann vorbei.«
Sie war mit Aisha in einer Bar am Federation Square verabredet
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