Nur Fuer Schokolade
und fragt: »Bekomme ich jetzt meinen Jogginganzug?« Er hat es also nicht vergessen, obwohl er etwas müde ist.
Freudig betrachtet er die neuen Kleidungsstücke. Ein violetter Markenjogginganzug mit drei Streifen, wie gewünscht, ein brauner Pullover und ein paar Socken. Sofort beginnt er sich zu entkleiden, es stört ihn auch nicht, daß die Kamera noch immer läuft, obwohl er nur noch in seiner langen Unterhose und seinem Unterhemd im Raum steht. Er achtet auch nicht auf die beiden jungen Frauen, die sich verschämt zur Seite drehen. Er will gerade seine neue Bekleidung anziehen, als einem der Anwesenden die zwangsweise von anderen Häftlingen beigebrachten Tätowierungen einfallen.
Man bittet Leszek deshalb, auch das Unterhemd auszuziehen.
Zunächst denkt er, daß man auch dieses mitnehmen wolle: doch als er bemerkt, daß seine Tätowierungen betrachtet werden, schämt er sich offensichtlich und sagt: »Aber das sagen Sie niemanden, was man mir da auftätowiert hat?«
Das wird ihm versprochen, und er zieht seine neuen Sachen an. Stolz verläßt er den Raum.
Einiges wurde erreicht bei diesem Interview. Leszek Pekalski hat vierzehn Morde vor laufender Kamera gestanden, auch sein Vorwort für ein Buch (das vorliegende) und seine Kleidung hat das Team. Statt jedoch diesen Tag zu feiern, zieht es jeder einzelne von ihnen vor, nach dem Abendessen auf sein Hotelzimmer zu gehen.
Am nächsten Morgen ist das Gerichtsgebäude wieder zum Schauplatz zahlreicher Berichterstatter geworden. Schon früh sind Reporter versammelt. Fotografen, Kameraleute, Redakteure. Beim Portier des ehrwürdigen Hauses gibt es kaum Sprachschwierigkeiten – er versteht zwar kein Englisch, doch allein der Name »Leszek Pekalski« macht ihm klar, was die einzelnen Besucher wollen: Vor Prozeßbeginn in den Gerichtssaal.
Dieser befindet sich im ersten Stock des Neubautrakts, Zimmer 114. Auf dem Sitzungsprotokoll vor dem Gerichtssaal am schwarzen Brett kann man erkennen, daß hier der Prozeß stattfindet. Inzwischen vertraute Namen der Richter und die Namen der für heute geladenen Zeugen sind notiert. Dabei fällt ein Name ganz besonders auf: es ist der Freund von Anika C.
dem Opfer Nr. 8 der Anklageschrift, der das Mädchen allein nach einer Zechtour nach Hause geschickt hatte. Nach starkem Alkoholgenuß wollte er Anika zunächst nach Hause bringen, doch als sie ihm unmißverständlich zu erkennen gab, daß sie auch wirklich nur nach Hause gebracht werden wollte, drehte er sich beleidigt um und ließ das Mädchen allein. Als er sich noch einmal nach ihr umdrehte, sah er Anika in Begleitung eines Mannes und schloß daraus, daß sie wohl einen Freund getroffen hatte. Wie sich durch die Gerichtsmedizin später herausstellte, wurde sie eine Stunde später ermordet.
Nachdem sich auf dem Anhang auch die Uhrzeiten befinden, für wann die Zeugen geladen sind, weiß man, daß dieser Mann auf einer der Bänke vor dem Gerichtssaal sitzen müßte. Dort sitzt nur ein blonder Mann mit einem Augenfehler und es ist bekannt, daß Anikas Bekannter einen solchen hat – also kann nur er es sein. Nach anfänglichem Zögern stellt er sich doch für ein paar Fragen der ihm unbekannten Personen zur Verfügung.
Die letzte beantwortet er leicht gereizt.
»Haben Sie, als Sie sich von Ihrer Freundin getrennt haben an diesem Abend, Leszek Pekalski erkennen können?«
»Dazu möchte ich nur im Gerichtssaal berichten und nicht hier«, lautet seine knappe Antwort und damit will er auch die Unterredung beenden. Die fiebrige Trophäenjagd auf alles, was mit Leszek Pekalski zu tun hat, macht selbst vor dem Blatt Papier, auf dem die Prozeßbeteiligten für den betreffenden Tag aufgelistet sind, nicht halt: Natürlich ist klar, daß man diesen Zettel erst am Ende des Verhandlungstags abnehmen kann, doch das stört nicht. In der nächsten Verhandlungspause steht ein Trophäenjäger in der Türe, aus der das Gericht und die Protokollführerin herauskommen werden.
Die Schöffen und Richter grüßen, der Vorsitzende gibt aber zu verstehen: »Keine Interviews heute. Keine, o.k.! Die Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal habe ich genehmigt. Auf Wiedersehen«, und dabei betrachtet er ein Fernsehteam beim Auspacken der Kamera. Eine Dolmetscherin, die die Fernsehleute dabei haben, unterhält sich mit der Protokollführerin.
Obwohl das Team kein Polnisch versteht, können sie doch an den Gesten und am ständigen Kopfschütteln erkennen, daß aus dem Wunsch wohl nichts werden soll.
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