Nur in deinen Armen: Roman
Angriff nicht irgendein Verbrechen war, sondern einen ganz spezifischen Hintergrund hatte, würde seine väterliche Sorge nur noch vergrößern.
Sir Jasper sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Nach allem, was Sie mir berichtet haben, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass es ein Arbeiter auf der Durchreise war. Und auch kein Zigeuner oder ein Kesselflicker.«
»Nein. Phyllida glaubt, dass der Täter einen Rock trug, und Jem hat beschrieben, dass er ordentlich gekleidet war. Laut Jem trug er weder einen Kittel noch irgendeine andere schäbige Kleidung.«
»Hmm.« Nachdem er lange blicklos vor sich hingestarrt hatte, sah Sir Jasper Lucifer wieder an. »Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass dieser Angriff etwas mit dem Mord an Horatio zu tun hat?«
Lucifer sah in seine Augen, die denen von Phyllida so ähnlich waren, die jedoch schon vieles gesehen hatten. »Das kann ich nicht sagen.«
Und das war die Wahrheit.
Lucifer wandte sich wieder zum Fenster. Er fühlte sich viel schlechter, als sein Aussehen vermuten ließ. »Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gern morgen früh noch einmal mit Phyllida reden. Es gibt da einige Dinge, über die ich mit ihr sprechen möchte, wenn wir uns allein unterhalten könnten, dann könnten wir vielleicht auch noch einige andere Dinge klären.«
Sir Jasper hielt seinem Blick stand, dann wandte er sich wieder seinem Schreibtisch zu. »Allein, wie? Nun ja, vielleicht haben Sie Recht - es ist nicht einfach, Phyllida zum Reden zu bringen.« Er zögerte einen Augenblick, dann fragte er: »Soll ich ihr sagen, dass Sie morgen kommen, um mit ihr zu reden?«
Lucifer sah aus dem Fenster. »Es ist sicher besser, wenn mein Besuch überraschend kommt.«
12
Mitternacht. Phyllida lag in ihrem Bett und lauschte dem Schlagen der Uhren in der Farm. Die letzten Töne erstarben und ließen nichts als Dunkelheit zurück.
Sie hatte den halben Nachmittag geschlafen, und nach dem Abendessen war sie umsorgt worden, bis sie sich schließlich, nur um ihre Ruhe zu haben, in ihr Zimmer und ihr Bett zurückgezogen hatte. Sie hatte geschlafen. Aber jetzt war sie hellwach.
Sie verspürte keinerlei Schmerzen. Den Kratzer an ihrem Unterschenkel und die Schramme an ihrem Arm bemerkte sie kaum noch.
Doch ihre Gedanken waren quälend.
Dass man auf dem Feld auf sie geschossen hatte, hatte sie noch ignorieren können - auch wenn Lucifer festgestellt hatte, dass in der Nähe ein Pferd angebunden gewesen war, so hätte es doch noch immer ein Jäger sein können. Man hatte aus einiger Entfernung auf sie geschossen, den Täter hatte sie nicht gesehen.
In der Kirche hatte sie ihn zwar auch nicht gesehen, aber sie hatte ihn gefühlt.
Sie hatte seine Kraft gefühlt und hatte gewusst, dass die Bedrohung wirklich war.
Angst. Sie schmeckte die Angst noch immer auf ihrer Zunge. Noch nie zuvor hatte sie wirkliche Angst gekannt, nicht in ihrem friedlichen, vielleicht nicht ganz so glücklichen, aber zufriedenen Leben.
Dieses Leben wurde jetzt bedroht, sie fühlte es eiskalt in ihrem Rücken. Ihr Leben war etwas, das sie zuvor gar nicht so bewusst wahrgenommen hatte, sie hatte es als selbstverständlich hingenommen. Genau wie all die anderen Menschen um sie herum auch. Wie ironisch.
Sie wollte nicht sterben. Ganz sicher nicht ohne Grund. Besonders nicht durch irgendeinen feigen Mörder. Lucifer hatte Recht. Der Mörder glaubte offensichtlich, dass sie viel mehr wusste. Er war wirklich hinter ihr her.
Sie holte tief Luft und versuchte, die eisige Furcht von sich zu schieben, dann wartete sie, bis ihr Zittern ein wenig nachließ. Sie konnte so nicht weiterleben, sie hasste das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben nicht länger in eigenen Händen zu haben, nicht sicher zu sein. Sie hasste das Gefühl von Furcht.
Was sollte sie tun?
Das wäre eigentlich eine einfache Frage, doch wegen des Versprechens, das sie Mary Anne gegeben hatte, war es das bei weitem nicht. Phyllida lag auf dem Rücken und starrte auf die Schatten, die an der Decke tanzten.
Sie würde ihre hübscheste Haube darauf verwetten, dass Lucifer morgen wiederkommen würde, diesmal würde er nicht nachgeben. Er würde darauf bestehen, dass sie ihm alles sagte, und wenn sie sich weigerte, würde er mit ihrem Vater reden. Sie konnte sich schon ausmalen, wie dieser reagieren würde, ganz besonders unter diesen Umständen, wo Ehre und Pflichtgefühl so wichtig waren. Man konnte Lucifer vieles vorwerfen, ein Halunke zu sein, ein Schwerenöter und ein eleganter
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