Nur Mut, liebe Ruth
früheren Frisuren!“ Der Kriminalinspektor betrachtete das Bild,
betrachtete Ruth und sagte dann: „Mir scheint, ich habe dir Unrecht getan.
Entschuldige, bitte. Aber es ist immer besser, einmal jemandem grundlos zu
mißtrauen, als auf einen Schwindel hereinzufallen.“ Er gab ihr den Ausweis
zurück. „Also, nun berichte mal, was du beobachtet hast.“ Ruth erzählte ihre
ganze Geschichte noch einmal, anfangs stockend, dann immer geläufiger. Der
Kriminalinspektor hörte ihr zu, sah aber inzwischen immer wieder in die Akten,
um ihre Erzählung mit den bereits ermittelten Tatsachen zu vergleichen. Das
merkte Ruth natürlich, aber es machte sie nicht unsicher, sondern nur
ärgerlich.
„Das war’s“, schloß sie, „und
wenn Sie mir immer noch nicht glauben, können Sie ja bei Frau Mühlberger
anfragen. Die wird bestimmt bestätigen, daß ich heute nachmittag bei ihr war
und sie gewarnt habe.“
„Aber, aber, nur nicht gleich
böse werden. Ich glaube dir schon, junge Dame. Alles, was du erzählt hast,
stimmt aufs I-Tüpfelchen. Aber jetzt sei so gut und gib mir mal eine möglichst
genaue Beschreibung von der verdächtigen Dame.“
„Sie trug eine Perücke“, sagte
Ruth, „deshalb ist sie mir ja sofort aufgefallen, eine dunkle Perücke mit einer
einfachen Frisur. Das ist nämlich höchst selten, weil Leute, die sich Perücken
anfertigen lassen, ja meist elegant aussehen wollen. Heute nachmittag habe ich
übrigens ein bißchen von ihrem echten Haar gesehen, es guckte unter der Perücke
heraus. Es war rotblond.“
„Rotblond“, sagte der
Kriminalinspektor, „das hilft uns weiter.“ Er machte sich eine Notiz.
„Das wird Ihnen nicht viel
nutzen, Herr Inspektor“, sagte Ruth weise, „die Haarfarbe bedeutet heutzutage
gar nichts. Manche Frauen färben sich die Haare wie verrückt. Jede Woche eine andere
Tönung. Das weiß ich von meiner Mutter.“
„Mir scheint, man sollte
jemanden wie dich in den Ermittlungsdienst nehmen“, sagte der Kriminalinspektor
etwas spitz.
„Später vielleicht“, entgegnete
Ruth ganz gelassen, „aber vorläufig gehe ich ja noch auf die Schule.“
Zum Glück verstand
Kriminalinspektor Maurer Spaß. „Eins zu null für dich“, sagte er, „also
weiter!“
„Sie hatte eine helle Haut und
helle Augen, grau, wenn ich mich recht erinnere, also kann man annehmen, daß
sie von Natur aus tatsächlich blonde oder jedenfalls helle Haare hatte“, fuhr
Ruth fort. „Mir fiel gleich auf, daß ihr Gesicht älter wirkte als der Hals.
Meist ist es ja umgekehrt. Das läßt darauf schließen, daß sie sich auf alt
geschminkt hat. Auch die Art, wie sie die Treppe herunterlief, wirkte jünger
als ihr Aussehen. Sie hat eine schlanke, gute Figur und am Kinn ein
überpudertes Muttermal.“
„Ausgezeichnet“, lobte der
Kriminalinspektor, „ich wünschte nur, alle meine Beamten könnten so gut
beobachten. Für wie alt hast du die Person denn geschätzt?“
„Schwer zu sagen. Sie wollte
wohl für eine Frau zwischen dreißig und vierzig gelten, war aber mindestens
zehn Jahre jünger.“
„Wie groß?“
Ruth stand auf und reckte die
Hand. „So groß etwa.“
„Also sagen wir eins siebzig.“
Wieder machte er sich eine Notiz. „Sonst noch was?“
„Nicht daß ich wüßte. Wie sie
gekleidet war, habe ich ja schon beschrieben.“
„Glaubst du, daß du die Frau
nach einer Fotografie wieder erkennen könntest?“
„Keine Ahnung“, sagte Ruth,
„man kann sich so verschieden schminken, die Augenbrauen anders rupfen und den
Mund anders nachziehen...“
„Na, wir werden es immerhin
versuchen.“ Der Kriminalinspektor telefonierte zur Ermittlungsabteilung, und
bald darauf brachte ein junger Mann einen ganzen Stoß grau-grüner Fotoalben
herein. Sie waren gefüllt mit Fotos von Frauen, die von vorne, von der linken
und der rechten Seite geknipst waren.
Ruth betrachtete jedes
einzelne, und Katrin guckte ihr dabei über die Schulter. Aber die Perückendame
war nicht darunter; jedenfalls fand Ruth sie nicht heraus, so aufmerksam sie
die Bilder auch studierte.
„Schade“, sagte der
Kriminalinspektor, „aber immer noch besser, du gibst es zu, als wenn du so
tätest, als würdest du sie auf einem der Fotos erkennen. Auch das haben wir
schon erlebt.“
„Und wie soll es nun
weitergehen?“ fragte Katrin, als Ruth das letzte Album auf den Schreibtisch
zurückgelegt hatte.
„Ruth gibt mir ihre Adresse,
und falls wir noch mal eine Frage haben...“
„Nein, das meine ich
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