Nur Mut, liebe Ruth
letzten
Moment doch verließ, wenn Katrin sie nicht eisern festgehalten hätte.
Hintereinander betraten sie ein helles kleines Zimmer. Ein Herr mit einer
spiegelnden Glatze und klugen Augen blickte flüchtig auf, als sie eintraten,
wies auf zwei Stühle vor seinem Schreibtisch und vertiefte sich wieder in ein
Aktenstück.
Katrin und Ruth setzten sich
gehorsam. Ruth stellte ihre korallenrote Badetasche neben den Stuhl, und Katrin
legte ihr Bündel mit dem nassen Badezeug darauf. Ruth nahm ihre Kappe ab und
drehte sie nervös zwischen den Fingern, und Katrin wippte mit den Beinen. Beide
betrachteten aufmerksam jeden Gegenstand in dem kleinen Raum. Aber viel gab es
da nicht zu sehen: den Schreibtisch, einen Rollschrank, Kriminalinspektor
Maurer, eine Zimmerlinde auf dem Fensterbrett.
„Fehlt bloß noch ein
Kanarienvogel“, platzte Katrin plötzlich heraus.
„Schcht! Still!“ mahnte Ruth
erschrocken.
Jetzt endlich hob der
Kriminalinspektor den Blick und sah sie, eine nach der anderen, aufmerksam an.
„Dich kenne ich doch“, sagte er
dann zu Katrin.
„Klar, Herr Inspektor, deshalb
wollte ich ja unbedingt mit Ihnen sprechen!“
„Und möchtest du mir bitte
verraten, um was es sich handelt?“ Katrin riß die schwarzen Augen auf. „Ja,
erinnern Sie sich denn nicht mehr?“
Der Kriminalinspektor strich
sich über seine Glatze. „Hm, laß mich nachdenken! Ja, ich glaube, jetzt fällt
es mir wieder ein: Du bist das Mädchen aus dem Hochhaus, dessen Großmutter
bestohlen worden ist!“
„Genau“, sagte Katrin eifrig,
„und dies hier ist meine Freundin Ruth! Sie hat die Diebin gesehen und kann
Ihnen eine genaue Beschreibung liefern. Sie brauchen sie aber nicht von einer
Beamtin verhören lassen, sie wird Ihnen ganz von selber alles erzählen, was sie
weiß.“
„Hochinteressant“, sagte der
Kriminalinspektor, „aber wenn ich mich nicht täusche, liegt der Fall doch schon
etwa drei Wochen zurück.“
„Stimmt, aber erst heute hat
Ruth die Frau wieder gesehen und sich entschlossen, alles zu erzählen. Vorher
hat sie sich nicht getraut. Sie ist nämlich ein bißchen schüchtern oder, besser
gesagt, sie war es. Inzwischen hat sie sich gemausert, müssen Sie wissen.“ Der
Kriminalinspektor sah Ruth an. „Du wußtest also von dem Fall, hast die Frau
beobachtet, entschließt dich aber erst heute zu sprechen, kannst aber dann gleich
eine genaue Beschreibung liefern?“
„Ich weiß, das klingt
verrückt“, kam Katrin der Freundin zu Hilfe, „aber tatsächlich hat sie die
Diebin ja am Samstag vor der Tat beobachtet, und zuerst wußte sie gar nicht, ob
und wie das alles zusammenhing. Aber jedenfalls war sie dabei, als eine
verdächtige Frau sich am Samstag nachmittag nach meiner Großmutter erkundigt
hat! Das haben doch auch die beiden Kinder ausgesagt.“
„Und du hast es natürlich
deiner Freundin erzählt!“
Ruth rutschte von ihrem Stuhl,
griff nach ihrem Badebeutel und wollte zur Türe.
„Hiergeblieben!“ befahl Katrin
energisch. „Laß dich nicht einschüchtern, Ruth! Der Herr Kriminalinspektor ist
von Berufs wegen ein mißtrauischer Mann. Ist es nicht so?“
Jetzt mußte er lächeln. „Da
kannst du recht haben.“
Ruth gab sich einen Ruck. „Ja,
Katrin hat es mir erzählt“, sagte sie, „aber ich habe es schon vorher gewußt,
weil ich ja dabei war! Und wenn die beiden Kinder, die vor dem Hochhaus
Rollschuh liefen, so lang und breit verhört worden sind, wie Katrin behauptet,
dann müssen sie doch auch etwas von mir erwähnt haben, denn ich stand ja
dabei!“
„Moment mal. Das werden wir
gleich haben.“
Der Kriminalinspektor griff
hinter sich, ließ die Jalousie seines Rollschrankes heruntersausen und zog ein
Aktenstück heraus. Er schlug es auf, blätterte und fand, was er gesucht hatte.
„Stimmt. Die beiden haben von
einem Mädchen gesprochen, das die Fragen der Frau mit angehört haben muß. Sie
schildern das Mädchen als blond, nicht sehr groß, mit einer komplizierten
Frisur!“
Ruth errötete unter seinem
Blick, aber sie streckte kampfbereit ihr kleines Kinn vor. „Ich habe meine
Frisur inzwischen geändert, Herr Inspektor, und außerdem komme ich gerade vom
Baden!“ Dann fiel ihr etwas ein. „Augenblick mal, ich habe ja meinen
Schülerausweis bei mir!“ Sie gab Katrin das Badezeug zum Halten, kramte in
ihrer Tasche, brachte den Ausweis auch wirklich zum Vorschein, schlug ihn auf
und reichte ihn dem Kriminalinspektor. „Da, sehen Sie selber! Das war eine
meiner
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