Nur nicht aus Liebe weinen
Diskussionen sollten wir heute wohl lieber vermeiden.“ Es gelang Simon nur mit großer Mühe, ernst zu bleiben. „Schwesterchen, sei doch nicht sauer. Wir lachen nicht über dich, sondern mit dir. Komm, lass uns mit dem Essen beginnen. Ich verspreche dir, ich werde ein ernstes Wörtchen mit Jamie reden.“
Dieser Sommer war so wunderbar unbeschwert. Und in den folgenden Jahren konnte Laine die Ferien kaum erwarten. Denn erst mit Simons und Daniels Heimkehr erwachte Abbotsbrook zu neuem Leben.
Im Gegensatz zu Jamie hatte Laine kaum Freunde. Ihre Klassenkameradinnen sahen lieber fern und fanden ein Mädchen, das so viel las, höchst seltsam. Seit dem letzten Herbst ging nun auch Jamie auf dieselbe Privatschule wie Simon. Und so fühlte Laine sich schrecklich einsam. Doch in jenem Sommer änderte sich alles.
Dank des herrlichen Wetters waren alle vier ständig an der frischen Luft. Es war völlig selbstverständlich für Simon und Daniel, Laine mitzunehmen. Ihre Mutter erlaubte sogar, dass Laine die beiden an den kleinen Fluss am Rande des Grundstücks begleitete. Obwohl ihre Mutter den Fluss bisher immer zur Tabuzone erklärt hatte.
Aber inzwischen hatten Simon und Daniel mehrfach bewiesen, dass Laine bei ihnen in guter Obhut war. Gemeinsam nahmen sie ihr die Angst vor dem Wasser und brachten ihr das Schwimmen bei. Beide waren sich einig, dass sie sich so graziös wie ein Fisch durchs Wasser bewegte.
Die Tage vergingen wie im Flug, und Laine genoss es einfach, dabei zu sein, ganz gleich, ob die Jungs angelten, Kricket spielten oder Tennisturniere austrugen. Sie waren die Einzigen, die sie wie eine Erwachsene behandelten.
Umso schwerer fiel es ihr, sich von den beiden zu verabschieden. Die letzten zwei Ferienwochen verbrachte Simon im Lake Distrikt. Seitdem er Mitglied im Kletterklub seiner Schule war, konnte er vom Bergsteigen kaum genug bekommen. Daniel hingegen war verpflichtet, seinen Vater in Südfrankreich zu besuchen.
Laine stürzte sich in Daniels Arme und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. „Ich wünschte, du wärst auch mein Bruder“, flüsterte sie ihm unter Tränen zu.
Peinlich berührt über den Gefühlsausbruch ihrer Tochter, versuchte Angela sofort, Daniel zu befreien.
„Das ist schon in Ordnung, Mrs. Sinclair, ich fühle mich wirklich sehr geschmeichelt.“ Daniel löste sich behutsam aus der Umarmung und strich der kleinen Laine zärtlich über das Haar.
„Ich kann nur hoffen, dass sich die junge Dame bei deinem nächsten Besuch in den Weihnachtsferien von einer besseren Seite zeigt.“
Am liebsten wäre Laine vor Freude durch die Gegend gehüpft. Ein besseres Weihnachtsgeschenk, als die Feiertage mit Daniel und Simon zu verbringen, gab es gar nicht.
Wie sehr hab ich ihn damals vergöttert. Eine lächerliche Schwärmerei, die ich leider viel zu ernst genommen habe. Die Erinnerung schmerzte sie noch immer.
Mit zunehmendem Alter wurde Laine zwar bewusst, dass der Haussegen immer öfter schiefhing. Doch nicht einmal die zunehmenden Besuche ihres Treuhänders Mr. Latimer vermochten die Glücksgefühle zu trüben, die Daniels Anwesenheit in ihr auslösten.
Eines Abends saß sie nachdenklich an ihrem Fenster, als sie ihre Mutter und Simon auf der Terrasse diskutieren hörte.
„Ich dachte wirklich, alles würde leichter werden, sobald du endlich volljährig bist.“
„Mum, sieh es doch endlich ein: Auch Jamie und Laine müssen erst noch volljährig werden, bevor wir über unser Erbe verfügen können. So wollte es Dad in seinem Testament.“
Ihre Mutter gab ein verächtliches Schnauben von sich.
Simon blieb gelassen, obwohl die Anspannung seiner Stimme anzuhören war. „Wenn das Geld so knapp geworden ist, solltest du vielleicht nicht jedes Wochenende Gäste einladen, Mum.“
„Dein Vater hat damit angefangen, Simon. Außerdem würde ich ohne ein bisschen Unterhaltung hier völlig vereinsamen. Wenn ich könnte, würde ich dieses alte Gemäuer sofort verkaufen und wieder nach London ziehen. Man muss doch ständig Angst haben, dass einem das Dach über dem Kopf zusammenbricht. Aber nicht einmal für Reparaturen bekommen wir etwas von dem Geld. Und dann noch diese aufdringlichen Leute, die hierherkommen, um angeblich auf den Spuren eures Vaters zu wandeln. Ich habe schließlich meinen Mann verloren, sie brauchen mich nicht ständig daran zu erinnern, was für ein Verlust das war.“
„Mum, hätte Dad früher nicht so viele Leser begeistert, hätten wir bisher wohl kaum so ein
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