Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
Aufgabe zufallen würde. Doch es war unwahrscheinlich, dass Ross Gemma als Ersatz akzeptiert hätte, selbst wenn sie sich freiwillig gemeldet hätte. Er hatte gewiss Heathers und Pascals Reaktionen beim Anblick von Donalds Leiche beobachten wollen, da sie beide zum Kreis der Verdächtigen zählten.
Die Polizeiroutine nahm wenig Rücksicht auf menschliche Gefühle, dachte Gemma, und zum ersten Mal konnte auch das Wissen um die Notwendigkeit all dieser Maßnahmen sie nicht damit versöhnen.
»Kommen Sie, lassen Sie uns ins Haus gehen«, sagte sie, da ihr keine tröstenden Worte einfallen wollten. »John und Louise werden uns bestimmt gerne einen Tee kochen.« Auf dieses Hausmittel konnte man im Zweifel immer zurückgreifen – und immerhin kam die traditionelle Tasse Tee dem menschlichen Bedürfnis nach Beschäftigung und vertrauten Ritualen zur Verarbeitung eines Schocks entgegen.
»Nein, warten Sie.« Heather legte Gemma, die sich gerade abwenden wollte, die Hand auf den Arm. »Ich habe Neuigkeiten für Sie. Giles Glover, der Justiziar, hat uns schon erwartet, als wir nach Benvulin zurückkamen. Er hatte Donalds Testament gelesen. Es war kurz nach dem Tod seines Vaters datiert. Donald – Donald hat alle seine Anteile Hazel vermacht.«
»Was?« Gemma starrte Heather an; sie glaubte sich verhört zu haben. »Sagten Sie
Hazel
? Aber – sind Sie sicher –«
»Es ist wahr«, versicherte Pascal ihr. »Er konnte frei darüber verfügen.«
»Hatte er die Anteilsmehrheit?«, fragte Kincaid.
»Ja.« Heather hatte geantwortet, und Gemma spürte, welche Anstrengung es sie kostete, mit fester Stimme zu sprechen und ihre Züge unter Kontrolle zu halten. Sie hatte zehn Jahre ihres Lebens aufopferungsvoll für Donald Brodie gearbeitet, und er hatte ihr nicht einen Penny hinterlassen. »Es ist eine AG, in der die Aktionäre neunundvierzig Prozent der Anteile halten, Donald hatte also die Mehrheitsbeteiligung. Ich werde den Aufsichtsrat informieren müssen, aber zuerst muss ich es Hazel sagen. Wo ist sie eigentlich?« Heather blickte sich um, als sei ihr Hazels Abwesenheit eben erst aufgefallen. »Ich dachte, sie wäre bei Ihnen.«
»Sie ist hier.« Gemma deutete auf die Scheune. »Sie wollte ein bisschen allein sein, während ich Duncan vom Bahnhof abholte. Heather, soll ich es ihr sagen?«
Nach kurzem Zögern schüttelte Heather den Kopf. »Nein. Wir werden in Zukunft zusammenarbeiten – das heißt, falls Hazel mich übernimmt –, und ich finde, da sollten wir von Anfang an offen miteinander umgehen.«
Nach Obduktionen hatte er regelmäßig einen schlechten Geschmack im Mund. Ross hatte im Lauf der Jahre die Theorie entwickelt, dass das Phänomen durch die Ausdünstungen der Leichenhalle verursacht wurde, die in seine Haut eindrangen – eine abstruse und unwissenschaftliche Vorstellung, gewiss, aber er hatte bemerkt, dass der Geschmack immer erst verschwand, nachdem er geduscht hatte.
Er hatte Munro an einer Tankstelle an der A9 zwischen Inverness und Aviemore anhalten lassen, um sich Pfefferminzbonbons zu kaufen, die er eigentlich nicht ausstehen konnte, und als sie im Polizeirevier von Aviemore eintrafen, hatte sich seine Laune immer noch nicht gebessert.
Die Obduktion hatte ihm keine überraschenden Erkenntnisse geliefert: Donald Brodie war aus sehr kurzer Entfernung mit einer kleinkalibrigen, mit Vogelschrot geladenen Flinte in die Brust geschossen worden. Die Leiche wies keine anderen Verletzungen auf; Brodie war bei guter Gesundheit gewesen, als er erschossen wurde. Der Todeszeitpunkt stimmte nach Auskunft des Gerichtsmediziners bei einer maximalen Abweichung von ein bis zwei Stunden mit dem Zeitpunkt überein, zu dem nach Aussage von Inspector James der Schuss gefallen war. Das half Ross natürlich überhaupt nicht weiter.
Es war nicht zu übersehen gewesen, wie Heather Urquhart beim Anblick der Leiche um Fassung gerungen hatte, doch auch diese Reaktion war kaum überraschend. Der Franzose, Benoit, hatte sich sehr besorgt um sie gezeigt, in einer eher förmlichen Manier, die Ross als »kontinentaleuropäisch« charakterisierte, aber auch das war nichts Außergewöhnliches.
Und die Spurensicherung hatte weder an Brodies Kleidung oder Körper noch am Tatort irgendetwas Interessantes entdeckt.
Die Überraschung des Tages hatte Ross schon früher erlebt, als sie kurz in Grantown Halt gemacht hatten, um Donald Brodies Anwalt zu vernehmen. Er hatte ja in seiner Laufbahn schon einige seltsame testamentarische
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