Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
keine Mühe, den gemurmelten Singsang zu verstehen, in dem er auf sie einredete. Aber mit den Händen ließ es sich doch ganz anders kommunizieren. Er musste die Zügel nur ganz leicht packen, und schon konnte er dem Pferd vermitteln, was er von ihm wollte; das leise Zittern der Angelrute übersetzte ihm die Sprache der Fische – den tiefen, bedächtigen Rhythmus des Lachses, die quecksilbrige Musik der Forelle.
»Nichts zu machen, Tante Jan«, sagte er schließlich. Er wusste, wie mürrisch er klang und dass er sie damit nur noch mehr reizen würde. »Ich hab was anderes zu tun.« Mechanisch streckte er die Hand aus, um seinen schwarzen Labrador Murphy zu streicheln.
»Etwas Wichtigeres, als diesen Reitstall über Wasser zu halten? Du weißt, dass die Gruppe für dieses Wochenende seit Monaten fest gebucht ist – und wie soll ich das deiner Meinung nach ohne dich bewerkstelligen?«
»Du kannst die Gruppe doch selbst führen«, schlug Callum vor. »Lass Dad den Bus fahren.«
Janet tat die Idee mit einem verächtlichen Schnaufen ab. »Das würde uns noch fehlen – dein Vater wegen Trunkenheit am Steuer im Kittchen, und das Gepäck von den ganzen Touristen gleich mit.«
Der MacGillivray-Reitstall war ein Familienunternehmen, doch Callums Vater Tom war schon seit Jahren mehr eine Belastung als eine Hilfe. Tom MacGillivray trank, und zwar noch nicht einmal anständigen Whisky, sondern billigen Gin – das hatte er sich während seiner Zeit beim Militär angewöhnt. Die Folge war, dass man sich zwar bei den morgendlichen Arbeiten in Haus und Stallungen noch auf seine Mithilfe verlassen konnte; doch schon gegen Mittag war er gewöhnlich nicht mehr zurechnungsfähig und musste vor den zahlenden Gästen versteckt werden. Und wenn es Abendessenszeit war, mussten sie ihn mit Gewalt aus seinem Sessel zerren, um ihn zu füttern. Einigermaßen wiederbelebt, schwankte er anschließend in Schlangenlinien zum Pub hinunter, wo er bis zur Sperrstunde blieb.
Die Besucher, die Tom zufällig zu Gesicht bekamen, fanden ihn meistens ganz originell, mit seinem abgetragenen Tweedanzug und seiner Schiebermütze – aber nur, wenn sie ihm nicht so nahe kamen, dass sie ihn riechen konnten.
Für morgen Vormittag hatte sich eine Gruppe von sechs Personen für einen leichten Ritt durch das Speytal angesagt, mit einer Übernachtung in der Nähe von Ballindalloch. Sie boten zwar gelegentlich auch noch Reitstunden für Anfänger an, doch ihr Hauptgeschäft machten sie inzwischen mit dem Ponytrekking. Geführt von Callum, trug ein Dutzend stämmige Bergponys die Touristen auf Touren, die von einer Übernachtung bis zu einer vollen Woche reichten und die Besucher mit der Landschaft wie auch mit historischen Sehenswürdigkeiten bekannt machten. Janet arbeitete fest mit mehreren Betreibern von Pensionen zusammen, die den Gästen Übernachtungsmöglichkeiten und den Pferden Stallungen zur Verfügung stellten. Sie selbst brachte unterdessen das Gepäck mit ihrem großen grünen Transporter von einem Zwischenstopp zum nächsten.
Sie und Callum hatten diese Aufgabenverteilung im Laufe der Zeit perfektioniert, und inzwischen arbeiteten sie schon einige Jahre reibungslos als eingespieltes Team zusammen. Jetzt aber starrte sie ihn konsterniert an und kniff die Augen zusammen, weil ihr die tief stehende Sonne ins Gesicht schien. In dem unbarmherzigen Licht konnte er die neuen Falten um ihre Augen herum ebenso deutlich erkennen wie die Flecken von Stallmist auf ihrer alten Jacke.
»Callum, mein Junge«, sagte sie in etwas sanfterem Ton, »geht es dir vielleicht nicht gut? Fehlt dir irgendwas?«
Ihre Sorge beschämte ihn, doch er konnte sich ihr unmöglich anvertrauen. »Nein, Tantchen, mir fehlt nichts. Es ist nur so, dass ich mich um… eine persönliche… Angelegenheit kümmern muss.«
Janets kräftige Hände ballten sich wieder zu Fäusten. »Wenn du mit
persönliche Angelegenheit
diese blonde Schlampe drüben in Aviemore meinst –«
»Es hat nichts mit Alison zu tun, und außerdem ist sie keine Schlampe«, brauste er auf. »Und ich wäre dir dankbar, wenn du deine Ansichten über meine Freunde in Zukunft für dich behalten würdest.«
Sie standen da und funkelten sich an – eine Pattsituation, die er schließlich mit einem Seufzer und einer wegwerfenden Handbewegung beendete. »Ach, was soll’s; ich verstehe ja, dass du sauer auf mich bist. Ich habe dich schließlich in eine schwierige Lage gebracht. Wie wär’s denn, wenn du die Gruppe
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