Nuramon
Nerimee, hundert Königskriegern und hundertfünfzig Teredyrern zu den Himmelswiesen auf. Die Pferde stammten aus Byrnjas, und Nylma hatte sie schon vor Tagen über die Albenpfade geholt – zusammen mit Futter und Stallknechten, die sich um die Tiere gekümmert hatten. Und die ganze Zeit hatten sie sich gefragt, ob die Feinde davon erfahren würden. Doch die Patrouillen der Alvarudorer waren gnadenlos. Sie zogen ihre Kreise wie Raubvögel und schlugen jeden, der sich auf zehn Meilen der Festung näherte. Sawagal war es zu verdanken, denn er hatte von Nerimee den magischen Fernblick gelernt, der das Licht anders brach, sodass er Dinge, die fern lagen, ganz nahe sah.
Sie ritten nun durch die frische Sommernacht, und Nuramon suchte mit seinen Zaubersinnen einen guten Weg durch das Wiesenland mit seinen sanften Hügeln. Die Bauern und Hirten dieses Landstriches waren Kriegszüge gewohnt, denn viele Yannadrier waren nicht über die Pfade, sondern über den Landweg nach Varlbyra gelangt, aber trotzdem barg jede Nähe zu Menschen die Gefahr, dass die Feinde von ihnen erfuhren.
Mit dem Morgengrauen erreichten sie den Rand der Himmelswiesen. Es war alles so wie damals, als er mit Borugar des Weges gekommen war, um Varlbyra zu belagern: ein sanft abfallendes Wiesental mit verstreuten Höfen, Rinder- und Schafsherden und den Lagerfeuern der Hirten.
Nuramon wirkte den Siegelblick, und schon erschien das golden leuchtende Rad in der Mitte des Tales. Im Gegensatz zu den anderen Siegeln, die er und Daoramu aufgespürt hatten, befand sich dieses nicht an einem schwer zugänglichen Ort, sondern schwebte einen Schritt über dem Boden zwischen zwei unbeeindruckt grasenden Schafen. Gewiss gab es irgendwo in Arlamyr auch andere Orte wie diesen, aber das Siegel hier zu finden, wirkte beinahe so, als hätten jene, die es geschaffen hatten, in die Zukunft geschaut.
Jetzt, da die Stunde der Entscheidung immer näher rückte, wuchs auch Nuramons Neugierde. Was, so fragte er sich, mochte sich hinter dem Siegel verbergen? Ein Albenstern, der an einen Ort führte, an den er bislang nicht gedacht hatte? In eine neue Welt? Oder in eine, die ihm nur zu gut bekannt war?
Bei Sonnenaufgang schwenkte Yendred mit Lyasani, Salyra und den Ilvaru nach Süden ein und ritt am Rande eines Waldes entlang. Da erspähte er mit seinem magischen Zauberblick zwei Reiter, die sich eilig von Westen kommend davonmachten. Er schickte Byrnea mit fünfzehn Kriegern hinter ihnen her, während er mit Lyasani, Salyra und den restlichen Ilvaru den Himmelswiesen entgegenstrebte. Hinter dem Wald öffnete sich ihr Blick über Wiesenland. Von der weiten Senke war nichts zu sehen. Erst nach einer leichten Erhebung erblickten sie in der Ferne das Ende des sanften Tales und kamen schließlich an dessen Rand.
In der Mitte sah er eine Schar Pferde, die vor einem kleinen Lager grasten. Erst mit seinem magischen Fernblick erspähte er seinen Vater und Nerimee, die sorgfältig Steine am Boden platzierten.
Yendred ritt an der Spitze seines Zuges ins Lager, stieg vom Pferd und schloss seine Schwester in die Arme, während sein Vater erst Lyasani und dann Salyra begrüßte.
»Wir haben Späher gesehen«, sagte Yendred schließlich, und das Lächeln seines Vaters verschwand. Sein Blick senkte sich auf Yendreds Waffe, das Schwert der Gaomee.
»Byrnea setzt ihnen nach«, erklärte Salyra.
Nuramon nickte. Schließlich führte er Yendred zu der Stelle, wo das Siegel sein sollte. Den Siegelblick beherrschte er nicht, aber solange sein Vater und seine Schwester es zu sehen vermochten, reichte ihm das. Es lagen schon gut zwanzig Edelsteine am Boden, ein großer Haufen wölbte sich rings umher. Die Zelte lagen östlich der Stelle, dahinter waren die Pferde.
»Wo ist Mutter?«, fragte Yendred seinen Vater.
»Sie und Nylma schlafen«, sagte er und deutete auf eines der Zelte. »Und ihr solltet euch auch ausruhen. Ich habe einige Leute losgeschickt, um den Bauern und Hirten zu erklären, dass wir hier rasten und auf Befehle warten. Die Königsgardisten holen Holz aus dem Wald, um angespitzte Pfähle zu machen, wenn es sein muss.«
»Glaubst du nicht an Loramus Plan?«, fragte Yendred.
Sein Vater hob die Brauen. »Selbst sie kann sich irren«, sagte er.
Yendred nickte und hoffte auf Byrnea.
Als Byrnea mit ihren Kriegern ins Lager kam und vor Nuramon trat, stand ihr die Unzufriedenheit ins Gesicht geschrieben. »Wir haben die beiden Reiter gehetzt und zu ihnen aufgeschlossen«,
Weitere Kostenlose Bücher