Nuramon
blieb. Sie wollte aus seinem Mund hören, was ihm in seinen vielen Leben widerfahren war, denn sie kannte nur Bruchstücke des gewaltigen Mosaiks.
Er erzählte ihr von seinen frühesten Erinnerungen an sie. Sie war damals bereits die Behüterin seiner Sippe gewesen. Und er war in jenem Leben noch ein Jüngling gewesen, als die Drachen über sie gekommen waren. Doch nachdem die Älteren im Kampf gegen die Drachen gestorben oder sogar ins Mondlicht entschwunden waren, hatte man ihn zum Oberhaupt der Sippe erkoren. Zu verdanken hatte er diese Wahl den Heldentaten seines vorherigen Lebens und den daraus erwachsenen Sagen über die Kämpfe gegen die Drachen von Ischemon. Nie wieder war er zu solchen Würden gekommen und hatte so viel Verantwortung für seine Sippe getragen. Er entsann sich des Schmerzes, den er beim Anblick des halb verkohlten Baumes und all der abgerissenen und zersplitterten Äste gelitten hatte.
Nuramon erinnerte sich auch an die frühesten Kindestage jener Inkarnation. »Es hieß, du hättest Weldaron die Magie gelehrt«, sagte er. »Du warst unsere Hüterin und schenktest uns Rat, den wir in jenen bitteren Zeiten brauchten.«
»Mein eigenes Schicksal hatte ich jedoch nicht vor Augen«, erwiderte Ceren. »Aber offenbar habe ich vieles richtig gemacht. Ich war es, die zu jener Zeit die Seelen eurer Wiedergeborenen erkannte; ich war es, die deinem Vater sagte, dass unter all seinen Kindern du die Seele Nuramons trägst.«
»Was für ein Mann war mein … Vater?«
»Einer, der für das Richtige eintrat, aber eitel war. Er vermochte andere für sich zu gewinnen, verprellte aber jene, die außerhalb standen. Er knüpfte Bande zu anderen Sippen, nur um diese dann fortzustoßen, wenn sie ihre Söhne und Töchter in die Obhut seiner Sippe gegeben hatten.«
»Wie stand er zu mir?«, fragte er.
»Er verschwieg, dass du die Inkarnation seines Vaters warst und dass Ulema seine Mutter gewesen war. Weldaron wollte eine Sippe begründen und nicht an seine eigenen Wurzeln erinnert werden. Die Sippe entstand nur, weil er sie ins Leben rief. Er blickte mit Neid auf die Älteren und zeugte dreiundzwanzig Kinder mit verschiedenen Frauen. Und er lehrte sie das Werben um Geliebte.«
»Dann war er wirklich der kriegerische Minnesänger, von dem die alten Lieder erzählen?«
»Krieger war er nur, wenn es keine andere Wahl gab. Aber der Minnesänger war er. In dieser Zeit starben mehr Elfen, als neue geboren wurden. Dein Vater fasste die Notwendigkeit, Kinder zu zeugen und zu gebären, in Worte. Weil er jedoch keine neuen Krieger heranziehen, sondern das Leben für die Zeit nach den Drachenkriegen bewahren wollte, handelte er sich den Spott anderer Sippen ein. Und um deren Forderungen nach weiterer Unterstützung im Krieg gegen die Drachen aus dem Weg zu gehen, sandte er dich und deine Cousins mit dem Auftrag aus, möglichst lange am Leben zu bleiben und eurer Familie möglichst viel Ruhm zu bringen. Ihr wart seine Streiter in den Drachenkriegen.«
Nuramon hauchte ein bitteres Lachen. Seine Erinnerung an jenes Leben, in dem er seinen Vater Weldaron als erwachsenen Mann gekannt hatte, wollte nicht erwachen. Doch er konnte sich zusammenreimen, was geschehen war, indem er an ein Bruchstück dieser Zeit dachte, das ihm geblieben war. »Ich ging also mit Belrion und Varaldin irgendwann nach Ischemon und kämpfte an der Seite Emerelles.«
»Dort fandest du den Tod, und du wurdest wiedergeboren, ehe deine Cousins aus dem Krieg heimkehrten. Sie berichteten von deinen Heldentaten.«
»Was hat Weldaron da gesagt?«, fragte Nuramon.
»Nichts. Er war bereits ins Mondlicht gegangen. Du aber wurdest als sein Enkel wiedergeboren.«
Nuramon biss sich auf die Lippen. Für einen Wiedergeborenen war es nicht befremdlich, an den eigenen Sohn zu denken und zu wissen, dass dieser zugleich der eigene Vater, Großvater und Urahn gewesen war. Eines der wenigen Bruchstücke, an die Nuramon sich aus seinem ersten Leben erinnerte, war der Moment, in dem er seinen neugeborenen Sohn seiner Geliebten Ulema reichte und sie ihm den Namen Weldaron gab. Es war ein Moment des Glücks. Und dann, ein Leben später, hatte sein Sohn nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen.
Cerens sonnenwarme Geisterhand strich Nuramon über die Wange. »Weldaron war selbstgefällig, wie so viele Väter großer Familien. Um selbst größer zu erscheinen ließ er seine Vergangenheit im Dunkeln, und viele andere hielten es in dieser Zeit ebenso. Über dich und Ulema
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