Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
dicht neben ihm und hielt seine Hand. Erijel atmete rasselnd. Ro-te Blasen stiegen ihm beim Ausatmen aus den Mundwinkeln. Sein Gesicht glänzte wie Kerzen wachs.
»Wie sieht es aus?«, flüsterte er, so leise wie ein Gräserwispern.
»Gut. Sehr gut«, log Kaveh. »Es ist keine schlimme Wunde. Morgen früh können wir aufbrechen.
Morgen früh … ja?«
Erijel machte einen Versuch, den Kopf zu heben, um den Verband an seiner Brust zu sehen, sank aber keuchend zurück. Mit geschlossenen Augen begann er zu weinen.
»Kaveh!« Seine Finger klammerten sich um seine Hand. »Ich will nicht sterben, Nâdem, lass mich nicht hier sterben! Nicht so … will hier nicht krepieren.«
»Du stirbst doch nicht, Erijel!« Kaveh drückte seine kalten Hände. »Sag so etwas doch nicht! Nior haelsoyah, Erijel …«
Erijel sah mit feuchten Augen zu ihm auf. Er sah wieder aus wie früher, als sie Kinder gewesen waren.
Als sie Kinder gewesen waren … Sie waren jetzt noch Kinder! Kinder mit Schwertern, nicht mehr.
»Lass mich nicht sterben«, hauchte Erijel. Als auch Kaveh weinen musste, wandte Erijel den Kopf in die andere Richtung. Er starrte in die Dunkelheit der Scheune. »Ich will nach Hause. Ich wollte im Sommer in den Wiesen sein. Ich wollte doch noch …
und Ylenja …« Erijel versuchte den Arm zu heben und das Brandmal an der Innenseite seines Unterarms anzusehen, den geschwungenen Buchstaben Y.
Aber er war zu kraftlos und senkte den Arm, bevor er es betrachten konnte. »Ich wollte ein Haus bauen, bei den drei Buchen am Rand des Dorfs.«
»Du wirst es bauen!«, sagte Kaveh heiser. »Erijel, alles wird gut und wir werden zusammen nach Hause kommen. Alles wird wie früher und besser. Weißt du noch, die Eiche über dem Wolfstal? Da werden wir stehen und meinen Vater wieder bei der Jagd erschrecken … Weißt du noch? Diesen Sommer?«
Erijel nickte, ohne Kavehs verzerrtes Lächeln anzusehen. »Sie hat gesagt, sie will mich heiraten«, flü-
sterte er. Dann verstummte Erijel. Er lag eine Weile still, bis seine Augen sich schlossen. Sein Atem wurde ruhiger.
Kaveh legte sich mit angewinkelten Beinen neben ihn. Mit Tränen in den Augen schlichen Arjas und Mareju heran und ließen sich vor ihm in die Hocke sinken. Erijel schlief jetzt ganz friedlich. Der Ernst war aus seinem Gesicht gewichen, es wirkte weicher und elfenhafter denn je. Seine Haut begann weißer zu schimmern mit jedem Herzschlag.
Als der Morgen dämmerte, war Erijel tot.
Das Versprechen
Kaveh sprach mit niemandem. Er hielt Erijel in den Armen, bis sich das fahle Tageslicht durch die Ritzen
der Scheune tastete, er hielt den kalten Körper so fest, als könne er ihn dadurch noch einmal erwärmen.
»Kaveh«, flüsterte eine Stimme. Blinzelnd öffnete er die geschwollenen Augen und glaubte für einen schmerzhaften Moment, er hätte Erijel sprechen ge-hört. Aber es war nur Mareju. »Kaveh«, sagte er. »Er
… ist tot.«
Kaveh hob den Kopf und blickte auf Erijel, der reglos neben ihm lag. Er schlief nicht, und die letzte verzweifelte Hoffnung, an die Kaveh sich geklammert hatte, zerfiel.
Er war tot. Endgültig. Nie wieder würde Kaveh ihm in die Augen sehen, nie mehr seine Stimme hö-
ren. Erijel … War sein Geist nun wirklich irgendwo in der Ferne, in den Winden, in den Bäumen, im Totenreich? Kavehs Herz zog sich zusammen, als er daran dachte, wie verloren Erijel dort sein würde –
er, der sein Leben doch noch gar nicht gelebt hatte!
Kaveh senkte den Kopf. Und es war seine Schuld …
Mit den Fäusten wischte er sich die Tränen aus den Augen, kam auf die Knie hoch und legte Erijel die Hände auf die Brust. Dann nahm er den Bogen des Ritters und schob ihn vorsichtig in Erijels kalte Finger. Kaveh stand auf und ging an den anderen vorbei.
Einen Moment später kehrte er wieder und entzündete eine Fackel. Er ließ sich auf die Knie fallen, schloss die Hand um Erijels Hinterkopf und presste seine Stirn gegen die des Toten. So verharrte er eine Weile, dann erhob er sich und entzündete das Heu rings um Erijel. Die Flammen brannten sofort lichterloh.
Scapa stand aus seiner Ecke auf und trat näher.
»Das Feuer wird man meilenweit sehen«, sagte er leise.
Niemand achtete auf ihn. Dass die Flammen wie ein Signal durch die Marschen leuchten würden, wussten sie alle. Aber trotzdem hielt niemand Kaveh auf. Rasch fraß sich das Feuer an den Holzwänden empor, beißender Qualm durchzog die Luft.
Endlich wandte Kaveh sich um. Im Gehen zog er sein Schwert.
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