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Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone

Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone

Titel: Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: das Erbe der Elfenkrone Nijura
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streifte die Kleider ab, ohne den Blick vom Mond und den Bäumen und dem Himmel zu wenden. Wie viele Menschen vor ihr schon denselben Mond und denselben Himmel gesehen haben mochten! Helden hatten zu den gleichen Sternen aufge-blickt wie sie nun. Und Helden würden in tausend Jahren noch denselben Nachtwind flüstern hören. Nill lächelte matt, denn in Momenten wie diesem war sie der Welt, dem Leben, sich selbst so nah, dass sie sich wie von unsichtbaren Geistern umarmt glaubte.
    Als ihr Rock zu Boden glitt, spürte sie etwas Hartes. Ihr Herz zog sich zusammen.
    Der steinerne Dorn! Nill hatte ihn vollkommen vergessen.
    Sie zog ihn aus der Rocktasche und hielt ihn eine Weile in den Händen. Er lag kalt und geschmeidig in ihren Fingern und namenlose Furcht überkam Nill.
    Mit einem Mal hatte sie das drängende Bedürfnis, den Dorn aus dem Fenster zu werfen; aber gleichzeitig wusste sie, dass das nicht weit genug wäre. Sie müsste ihn ganz fortbringen, bis zu der hohlen Birke.
    Nur wenn sich der Baum wieder schloss, erkannte Nill, würde sie vor dem Stein sicher sein.
    »Unsinn«, murmelte sie und schüttelte diese Gedanken ab. »Es ist nur ein Stein.«
    Sie schob ihn unter ihre Strohpritsche. Dann schlüpfte sie unter ihre dünne Wolldecke und zog sie
sich bis zum Kinn hoch. Der Himmel über ihr, der Mond, das Windflüstern in den Bäumen – alles schwebte in ihrem Kopf herum. Himmel, Mond, Windflüstern … Steindorn … der Steindorn …
    Nach einer Weile war Nill eingeschlafen.

    Nill hatte oft denselben Traum. Er spielte sich immer gleich ab und ließ sie jedes Mal mit demselben bitteren Geschmack und dem Gefühl einer unheimlichen Leere erwachen. Es war der einzige Traum – und die einzige Vorstellung überhaupt –, die Nill von ihrer Mutter hatte.
    Die Frau wanderte schweren Schrittes durch den Wald. Die Dämmerung kroch herauf. Die wehenden Fichten und Tannen blickten anklagend auf sie herab.
    Der Wind pfiff aus allen Winkeln der Finsternis; er schien zu schreien, zu toben, zu verfluchen. Böse Geister schwebten um die Frau, die so schwerfällig durch das Unterholz wanderte wie ein trächtiges Reh.
    Im Arm trug sie einen Korb.
    Bald schälten sich die Häuser der Hykaden aus dem trüben Dämmerlicht. Die Fenster blickten ihr entgegen wie die Augenhöhlen von Totenköpfen.
    Furcht und Abscheu keimten in der Frau – und Nill spürte ihre Gefühle so stark, als seien sie ihre eigenen.
    Augenblicke später ragte das Dorftor vor ihr auf.
    Die Frau warf einen letzten widerwilligen Blick in ihren Korb, den sie vor ihren Füßen abstellte, und Nill überfiel das Bedürfnis, nur noch zu weinen.
Denn was die Frau da von sich stieß, war die hilflose Kreatur, die in dem Korb lag. Ein Kind.
    Die Frau hatte es nicht haben wollen, denn es war ein Bastard, ein feindliches Blut, und noch dazu weckte es in der Frau brennende Schuldgefühle. Sie lief davon, ohne sich umzudrehen. Sie lief davon, um das Kind zu vergessen, um wieder glücklich zu sein, um schön zu sein, frei und unschuldig. Das Kind blieb in dem Korb zurück. Wolkenfetzen trieben über den Himmel hinweg. Die ganze Welt schien erfüllt von dem herzzerreißenden Schluchzen der erbärmli-chen Kreatur.
    Oft war Nill sehr ruhig aus diesem Traum erwacht und hatte eine Weile weinend im Bett gelegen, ohne sich zu rühren. Sie wollte sich nicht bewegen und dabei spüren, dass sie selbst das plumpe Geschöpf war, das nur Abscheu in jener Frau hervorgerufen hatte. In der Frau, die Nill mehr als alles, mehr als irgendjemanden sonst lieben wollte.
    Doch in dieser Nacht träumte Nill nicht von ihrer Mutter. Heute suchten sie ganz andere, viel seltsame-re Bilder und Gefühle heim …
    Sie ist allein in den Tiefen der Dunklen Wälder.
    Nein, nicht allein: Um sie flüstern und raunen die Geister der Bäume und des Windes. In ihrer Hand liegt, wohlgeformt und schwer, der schwarze Dorn.
    Sie muss ihn loswerden. Sie muss ihn zerstören.
    Doch gleichzeitig ist sie an ihn gebunden, er ist Teil ihres Schicksals geworden. Nill beginnt zu rennen.
    Schatten und Lichter der Wälder greifen nach ihr. Ihr Herz pocht vor Angst, bis sie etwas neben sich spürt: Da rennt jemand an ihrer Seite. Ein Mensch.
    Er ist ein warmer, vertrauter Schatten, den sie fürchtet und gleichzeitig liebt. Nun fühlt sie sich sicherer.
    Die Bäume lichten sich, ein tiefer Abgrund öffnet sich direkt vor ihnen im Boden. Einen Augenblick lang sieht Nill einen gigantischen schwarzen Turm aus der Tiefe ragen,

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