Nybbas Nächte
er recht. Wenn sie nicht wäre, wenn sie sich nicht verliebt hätten, müsste er nicht fliehen, um ihr Leben zu schützen. Sie hatte sich die Überlegungen nach dem Bereuen immer verboten, was ihre Gefühle betraf. Ob er es bereute, fragte sie sich dagegen ständig.
„Du warst ein furchtbarer Fehler, Jo.“ Immer noch streichelte er ihren Oberarm, wanderte mit den Fingern zu ihrer Schulter und ihrem Hals. „Deinetwegen verlangt der erste Fürst der Hölle nach meinem Kopf, um ihn als Trophäe über sein Bett zu hängen. Wegen dir fühle ich mich wie ein Feigling. Du lehrst mich Dinge,die ich nicht lernen sollte. Mal angenommen, ich hätte eine Wahl …“
„Willst du mir ein schlechtes Gewissen machen?“, unterbrach sie ihn. Es war eine sachliche Überlegung, kein Vorwurf.
„Ja.“ Lächelte er? Sie meinte es, in seiner Stimme zu hören. „Ja, denn anders kann ich auf deine Grausamkeiten nicht mehr reagieren. Es gibt Augenblicke, in denen ich dich schütteln möchte; dich schlagen, würgen, deinen Kopf an den Haaren packen und an die nächste Wand donnern. Noch häufiger will ich einfach nur jedes Gefühl aus dir heraussaugen, um wenigstens deinen Körper für mich zu haben.“
Er sagte dies mit einem Enthusiasmus, als plante er einen Tag in Disneyland, aber seine Finger zitterten kaum wahrnehmbar an ihrer Kehle. Ein Zeichen, dass er dies durchaus ernst meinte.
„Was hindert dich?“ Bewegungslos blieb sie liegen und staunte, wie lässig sie diese Offenbarungen hinnahm. Ihr Selbsterhaltungstrieb hatte schon bessere Tage gesehen.
„Ich würde es vielleicht bereuen.“
Wie vertrauenerweckend. Ein morbider Teil in ihrem Kopf kreierte einen Werbeslogan für eine Lebensversicherung. ‚Wir töten Sie nicht – wir würden es vielleicht bereuen.‘ Sie kicherte, es klang nicht einmal hysterisch.
„Fakt ist“, fuhr Nicholas ungerührt fort, „dass ich nie bereue. Möchtest du ein Beispiel? Es gab einmal einen Dämon, der mich aus dem Bann befreite, aus dem schrecklichsten Zustand, den ich mir vorstellen kann. Er holte mich da raus und hielt mich tage-, wochenlang fest, damit ich mich im Wahn nicht umbrachte. Ich schulde ihm mein Leben, meinen Verstand, meine Freiheit, und alles, was ich habe. Weißt du, was ich getan habe?“
Sie konnte sich denken, auf wen es hinauslief. Auf Alexander. Den Whiro.
Ehe sie antworten konnte, sagte Nicholas leidenschaftlich: „Ich habe ihn in den Bann gelockt. Ihn dem Schrecklichsten ausgeliefert, was es für unsereins gibt.“
„Weil er uns töten wollte.“
„Ich brachte ihm das Einzige ins Haus, wovor er sich fürchtete. Wer könnte es ihm verübeln, mich dafür zu töten?“ Seine Finger bewegten sich zärtlich über ihre Schlagader. „Er bereut, mich gerettet zu haben, da sei dir sicher. Nur ich, ich bereue nie. Aber ich fürchte, auch in diesem Fall würdest du mich neue Erfahrungen machen lassen. Erfahrungen, auf die ich verzichten möchte.“
„Time-out.“ Sie griff nach seiner Hand, die immer noch an ihrem Hals lag, und betrachtete seine Finger zwischen ihren. „Du bereust nie etwas, siehst mich aber als einen Fehler? Logikfehler, Nicholas.“
Er schüttelte den Kopf. Die Bewegung zog an ihren Haaren, auf denen er lag. „Nach allem, was passiert ist, wäre es Schönmalerei, dich keinen Fehler zu nennen. Allerdings, und das wollte ich dir sagen, bevor du mich unterbrochen hast, bist du der wundervollste Fehler meines Lebens. Hätte ich erneut die Wahl, würde ich bereuen, ihn nicht zu begehen.“
Ein Lächeln schlich in Joanas Gesicht, sie schmiegte ihren Rücken an seine Brust, fuhr mit den Lippen die rauen Narben nach, die sich quer über seinen Puls zogen, und mit den Fingern die flammenartigen Tätowierungen auf seinem Unterarm.
Nicholas schnaubte trocken. „Eigentlich wollte ich, dass du dich jetzt schlecht fühlst. Mindestens so schlecht wie ich. Aber offenbar bin ich deinen Grausamkeiten nicht nur ausgeliefert, sondern auch hoffnungslos unterlegen. Macht das Spaß?“
„Typisch. Kaum fühle ich mich besser, wirst du ungerecht.“
„Ungerecht“, wiederholte er gedehnt. „Ja, es ist vermutlich ungerecht, aus Angst um jemanden den Verstand zu verlieren. Eine seelenlose Bestie zu töten, weil sie einem das nehmen wollte, was man braucht, ist sicher auch ungerecht. Ach, und ich vergaß: Es ist schrecklich ungerecht, nicht einfach hinzunehmen, dass man von jemandem, den man liebt, für ein Monster gehalten wird.“
Joana biss sich auf die
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