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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Mosaik seiner Seele, welches ihm zudem eine Nekromantin – und damit ein Mensch – aufgezwungen hatte.
    Ändere, was du nicht akzeptieren kannst, und akzeptiere, was du nicht ändern kannst; so hieß es doch. Es sollte ihr nicht schwerfallen. Aber das tat es.
    Man müsste es eine Farce nennen, dass auf die Frage „Was denkst du?“ so häufig mit dem einfachen Wort „Nichts“ geantwortet wird. In den meisten Fällen ist dies wohl gelogen. Joana verzweifelte an diesem Morgen schon seit zwei Stunden an der Aufforderung, an nichts zu denken. Sie war allein mit Rut und konnte sich voll und ganz auf das Training konzentrieren. Wie am Tag zuvor gelang ihr jedoch rein gar nichts.
    „Gedanken mit dem Atem ausströmen lassen“, wies Rut an, wie schon etliche Male zuvor. „Stell dir vor, alles Denken verlässt dein Gehirn in einem stetigen, schmutzigen Fluss. Dann atmest du wieder ein und sauberes, reinstes Wasser erfüllt dich. Du bist wie ein kristallener See.“
    Dass Rut das Fenster weit geöffnet hatte, half geringfügig. Joana gab sich auch alle Mühe ein kristallener See zu werden. Leider reichte es trotzdem nur zu einem brackigen Tümpel, trübe von Milliarden Gedankenpartikeln, schlierigen Fäden aus Erinnerungen und wuchernden Sorgen.
    „Bald geb ich’s auf.“ Enttäuscht ließ sie sich in einen Sessel sinken.
    „Nicht den Mut verlieren.“ Rut, die in eine Wolldecke gehüllt in ihrem quietschenden Schaukelstuhl saß, füllte die Kaffeetassen aus einer Thermoskanne nach. Joana raste schon das Herz vor lauter Koffein. Vermutlich lag der beachtliche Kaffeekonsum der Isländer daran, dass es während des Winters nur für knappe vier Stunden richtig hell war. „Du weißt, dass du es kannst. Du hast diesen Dämon damals gebannt, als erdeinen Freund töten wollte. Das beweist, dass die Magie da ist.“
    „Hand aufs Herz. Wenn ich sie nur dann aktivieren kann, wenn Nicholas vor meinen Augen fast umgebracht wird, dann will ich diese Magie nie wieder spüren.“
    Rut seufzte. „Vielleicht kümmern wir uns zunächst um die Identifikation des Dämons.“
    Sie klopfte mit den knochigen Fingern auf einen Stapel dicker Bücher, die sie vor dem Training aus einem Hohlraum unter einer losen Holzdiele in der Küche hervorgeholt hatte.
    „Ich hätte sie nicht behalten dürfen“, hatte sie Joana erklärt, „aber nachdem diese Teufel mir alles raubten, nahm ich ihre Ansichten über Eigentum nicht mehr so genau.“
    Zu einer Erklärung, was ihr die Teufel, womit sie die Clerica meinte, genommen hatten, war sie nicht bereit. Sie hatte nur hektisch den Kopf geschüttelt und die Finger in ihre Schürze gekrallt.
    Joana nahm das oberste Buch an sich und schlug es wahllos in der Mitte auf.
    „Wo sollen wir anfangen? Viele Informationen haben wir nicht.“ Es war einerseits höchst ärgerlich, dass Nicholas den anderen Dämon nicht einfach fragen konnte, schließlich wusste dieser auch, wer Nicholas war. Andererseits wollte sie auch keinesfalls riskieren, dass er sich in Gefahr begab.
    „Bei A, ganz am Anfang“, antwortete Rut mit einem weiteren Seufzer. Sie zog einen Bleistift aus der Kitteltasche und reichte ihn ihr. „Wir markieren am besten alle, die infrage kommen, beim Ersten angefangen.“
    „Beim Ersten angefangen“, sinnierte Joana und biss auf das Bleistiftende. „Hast du eigentlich je über den Ursprung der Dämonen nachgedacht, Rut?“ Sie stellte sich oft solche Fragen, doch alles, was Nicholas ihr hatte erklären können, war, dass sie von einem Ort absoluten Chaos stammten, an dem es weder Regeln noch Hierarchie zu geben schien, und die Existenz auf eine rein spirituelle Ebene reduziert war. Der erste ins Diesseits beschworene Dämon war seines Wissens nach Lilith gewesen, doch hier endete sein Kenntnisstand, denn Nicholas interessierte sich nicht für Vergangenes. Er sagte, dass ein Zurückblicken in die Vergangenheit der Zukunft Zeit stahl. Manchmal glaubte Joana, dass er vor seiner eigenen Vergangenheit davonlief. Er sprach selten über frühere Zeiten seines Lebens, und wenn er es tat, dann zog er seine Erzählungen ins Ironische und machte sich darüber lustig. Bevor Sascha, ihr damaliger Verlobter, ermordet worden und Joana in ein emotionales Loch gestürzt war, hatte sie Psychologie studiert. Wenn sie leichtgläubig annahm, dass die Psyche eines Dämons nicht grundsätzlich anders funktionierte als die eines Menschen, dann musste sie an Verdrängung denken. Darüber hätte er natürlich wieder

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