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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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gelacht, aber wenn sich jemand mit Verdrängungsmechanismen auskannte, dann war es Joana. Eigene Erfahrungen machten sie zur selbst ernannten Expertin.
    „Du meinst die Geschichte von Lilith?“, riss Rut sie aus ihren Gedanken.
    Mechanisch nickte sie, und Rut begann zu erzählen. Legenden behaupteten, dass es der Dämonin Lilith gelang, die Membran zwischen dem Diesseits und der Chaoswelt aus eigener Kraft zu durchstoßen. Während der ersten Tage der Menschheitsgeschichte gelangte sie als wunderschöne Frau zu den Menschen, die sie alsbald verehrten und sie aufgrund ihrer Fähigkeit, aus ihrem Körper zu fahren und zu verkörpertem Wind zu werden, Windgöttin nannten. Sämtliche Männer buhlten um ihre Gunst, doch nachdem alle nichts anderes wollten, als die Windgöttin zu unterwerfen und zu ihrem Eigentum zu machen, hatte diese genug von ihnen. Sie machte ihnen ein Geschenk: In den folgenden hundert Tagen vereinte sie sich mit hundert Männern, und jedem davon überließ sie eine besondere Gabe, die diese an ihre Nachfahren vererbten. Lilith jedoch verschwand wieder im Chaos.
    An dieser Stelle unterbrach Joana. „In den jüdischen Midraschim heißt es, Lilith war Adams erste Frau, doch sie verließ ihn, weil sie sich ihm nicht unterordnen wollte.“
    „Ganz recht.“ Rut nickte sanft. „Diese Geschichte ist von der Wahrheit nicht weit entfernt, wenn Adam als das Sinnbild der ersten Menschen steht. Kannst du dir denken, welche Gabe Lilith ihren Liebhabern zurückließ?“
    „Sie machte sie zu Nekromanten?“, riet Joana, doch Rut verneinte.
    „Sie machte sie zu Clerica.“
    Wie seltsam. Warum sollte eine Dämonin Dämonenjäger erschaffen? Bevor sie Rut fragen konnte, sprach diese weiter.
    „Natürlich verstand zunächst niemand ihre List. Die Männer rühmten sich, nun Magie in sich zu tragen, obschon dies natürlich reine Theorie war. Du erinnerst dich, dass man Dämonenblut braucht, um die Kräfte eines Clerica zu wecken.“
    „Dann ergibt das alles keinen Sinn. Es gab nach Liliths Fortgang keine Dämonen mehr, oder doch?“
    „Zunächst nicht.“ Rut ließ sich von ihrem ungeduldigen Fußwippen nicht aus der Ruhe bringen und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse, bevor sie weitersprach. „Erinnerst du dich nicht an die Regeln der Clerica?“
    Die würde sie nie vergessen, es waren ja nur zwei. „Clerica töten keine Menschen und gehorchen ihrem Mentor“, betete sie herunter.
    Erstaunt zog Rut die schmalen Brauen über den Rand ihrer Brille. „Mehr hat man dir nicht gesagt? Ach nein, natürlich nicht, du bist ihnen sehr rasch entkommen.“ Sie faltete die Hände über ihrem Bauch und wirkte tief bedrückt. „Die weiteren Regeln erfährt man erst zum Ende der Ausbildung, sobald sie sicher sind, Vertrauen in die neuen Mitglieder setzen zu können.“
    Joanas Mund wurde trocken. Rut schien ihr mit einem Mal so traurig und erschöpft, dass sie geneigt war, das Gespräch abzubrechen. Doch sie musste herausfinden, was es mit den Clerica wirklich auf sich hatte.
    „Was sind das für Regeln und was hat das Ganze mit der Lilith-Legende zu tun?“
    „Zwischen zwei Clerica ist jeder intime Kontakt strengstens verboten. Die Menschen fanden erst viele Generationen nach Lilith heraus, wo diese den Pferdefuß an ihrer Gabe versteckt hatte.“ Rut räusperte sich. „Der Verbindung zweier Clerica entspringt ein Nekromant.“
    Au Backe. Das war eine clevere List von Lilith. Indem sie ihren Liebhabern die Macht gegeben hatte, Dämonen zu bannen, verfluchte sie gleichzeitig deren Nachkommen zu Dämonenbeschwörern. Es war ein Kreis, ein buchstäblicher Teufelskreis: Der Dämon aktivierte die Macht des Clerica, der Clerica erschuf den Nekromanten, und der Nekromant wiederum beschwor den Dämon. Ein äußerst nachhaltiges Geschenk, anders konnte man das nicht nennen. Lilith musste eine Leidenschaft für Ironie gehabt haben.
    „Du sagtest, sie verraten diesen Umstand erst, wenn sie wissen, dass sie dem neuen Mitglied vertrauen können“, überlegte Joana leise, fast mehr an sich selbst gerichtet. „Was geschieht mit denen, in die sie dieses Vertrauen nicht setzen?“
    Ruts Gesicht wurde ausdruckslos. „Zwangssterilisation.“
    In Joanas Bauch zog sich etwas zusammen. Es dauerte einen Moment, bis sie den Grund begriff, aber dann verstand sie, warum Rut die Clerica hasste.
    „Das ist dir geschehen, nicht wahr? Sie verhinderten, dass du jemals Mutter werden konntest. Sunna ist die Tochter für dich, die du nie

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