Nybbas Nächte
die Klinke runter. Natürlich war sie offen. Es gab kaum Schlüssel in der Feste, und wenn überhaupt etwas abgeschlossen wurde, waren es nicht die Privatgemächer der Skröggandi. Keinem von ihnen hätte es etwas bedeutet, eine Tür zu verschließen. Und Tomte wollte ja auch nichts stehlen. Diesmal nicht.
Er betrat Hellas Schlafzimmer, sog die abgestandene Luft ein und nahm sie ganz in sich auf. Ihr weiblicher Duft vermischte sich mit den schwachen Resten seines eigenen Geruchs wie die beiden ineinander verschlungenen Körper, die Hella und er am Morgen noch gewesen waren. Seufzend ließ er zu, dass das verlangende Vibrieren durch seinen Körper wanderte, um sich in seinen Lenden zu sammeln. Wie schade, dass er ihr nicht ernsthaft seine Aufwartung machen konnte. Aber den Mann, der er war, durfte sie nicht heiraten, und der, den sie heiraten durfte, konnte er nicht sein. Er war befugt, ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen. Mehr war nicht erlaubt zwischen ihm und der kleinen Programmiererin mit dem struppigen Kurzhaarschnitt, der so sehr an ihr wild duftendes Fuchsfell erinnerte, dass er beim bloßen Gedanken daran ins Schwärmen sowie darüber hinaus ins Knurren geriet.
Er schüttelte seine animalischen Gelüste ab, legte den gestohlenen Schinken als kleines Dankeschön für die vergangene Nacht auf den grob gezimmerten Tisch neben ihrer Pritsche. Unter dem Gewicht des Rauchfleischs neigte sich dieser, sodass eins der Holzbeine hilflos in der Luft hing. Tomte stieß ein ebenso amüsiertes wie abfälliges Geräusch zwischen den Zähnen hervor. Dummes Mädchen. Programmierte Maschinen, schweißte mit millimetergenauer Präzision an Festplatten, Computerchips und all diesem winzigen Zauberwerk herum, war aber nicht in der Lage, einen Tisch zu bauen, dessen Beine dieselbe Länge hatten.
Kopfschüttelnd verließ er den Wohnbereich und trottete seine Spielkarten mischend zurück zum Privatbüro des Bosses. Dabei grübelte er über die Gäste, die so unerwartet aufgetaucht waren und den Boss nervös gemacht hatten. Dies schien sich jedoch gelegt zu haben, der pfeffrige Geruch von Adrenalin hatte nachgelassen. Der fremde Mann, Nicholas, wirkte gefährlich, aber nicht akut bedrohlich. Er roch an ihm nichts, was auf Ärger hindeutete. Die Frau war ängstlicher als er, aber auch nicht so nervös, dass es den Anschein hatte, sie würde etwas im Schilde führen. Als Nicholas sie mitgebracht hatte, war Tomte deutlich mehr Adrenalin an ihm aufgefallen. Zunächst war ihm das verdächtig vorgekommen, doch nachdem er bemerkt hatte, dass der Dämon nach der Menschenfrau roch, und die Menschenfrau nach dem Dämon, hatte er begriffen. Wasimmer sie auch war, seine Leibwächterin bestimmt nicht. Sie bedeutete ihm etwas, ihre Nähe zu anderen Dämonen beunruhigte ihn. Neugier wallte in Tomte auf. Warum hatten sie gelogen? Er hätte gern erfahren, weshalb dieses seltsame Paar hier war, und ob sie ihm möglicherweise nützlich sein könnten.
An seinem Ziel angekommen setzte er sich neben der Tür auf den Boden, verwies die Grübeleien seines Kopfes und begann eine komplizierte Patience mit zweiundfünfzig Karten nach Regeln, die außer ihm niemand kannte.
Mit der Zeit hatte Joanas Anspannung nachgelassen. Demjan Choskeih war ein Gockel, machte aber keinen aggressiven oder verlogenen Eindruck. Nicht, dass sie sich als Seismograf für dämonische Launen für besonders begnadet hielt, aber ihr Gefühl verhieß nichts Ungutes. Nicholas schien allenfalls genervt, nicht aber ernsthaft besorgt. So fragte sie ihren Gastgeber im Laufe des Nachmittags hemmungslos aus. Vielleicht kam sie an Informationen, die Rut weiterhelfen oder sie von dem Gedanken abbringen würden, dass dieser Dämon von Island aus die Weltherrschaft an sich reißen wollte. Als Demjan nach einem Blick auf sein Notebook jedoch den Vorschlag unterbreitete, dass Nicholas und Joana über Nacht bleiben sollten, wurde ihr allerdings mulmig.
„Das Wetter schlägt in unseren Breiten sehr schnell um“, erklärte Demjan und drehte den Monitor, sodass Joana Satellitenaufnahmen erkennen konnte. „Vor einer knappen Stunde kündigte sich Niederschlag an, inzwischen liegen draußen bereits mehrere Zentimeter Neuschnee. Laut den Vorhersagen meiner Leute müssen wir von einem Schneesturm ausgehen.“
„Unser Mietwagen hat Allradantrieb und Winterreifen sowie Schneeketten im Kofferraum“, meinte Nicholas.
Demjan schüttelte langsam den Kopf. „Meine Sorge bezieht sich auf den Weg,
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